Atevi 3 - Erbe
kompromittiert hätten. Daß ich für Sie nicht zu erreichen wäre, war doch von vornherein klar. Und außerdem habe ich mich vor vier Tagen bei Ihnen gemeldet…«
»Ja, vielen Dank auch für Ihr ›Hallo, mir geht’s gut, wie geht’s Ihnen?‹«
»Sie wissen doch, daß mir kein sicheres Telefon zur Verfügung stand. Und aufgrund der angespannten Lage war im Funkverkehr Zurückhaltung verlangt. Zum Teufel, worüber streiten wir eigentlich? Was ist los?«
Es fiel Jason merklich schwer zu antworten. Aber Bren ahnte ohnehin, was dem jungen Kollegen auf den Nägeln brannte. Jason war im Augenblick zu frustriert, um Worte zu finden, sei es auf ragi oder in sonst einer Sprache. Er, Bren, konnte das sehr wohl nachempfinden, hatte er doch Ähnliches selbst zur Genüge durchgemacht, Momente extremer Orientierungslosigkeit an den Schnittstellen der Kulturen erfahren, und das, obwohl er im Unterschied zu Jason, der keinen blassen Schimmer hatte, über viele Jahre eigens ausgebildet worden war und an der Uni einen rigorosen Selektionsprozeß durchlaufen hatte, in dem alle Mitbewerber, die sich nicht disziplinieren konnten, aussortiert worden waren. Jason, das mußte man ihm lassen, hatte sich bislang geradezu heldenhaft angestrengt, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, was ihm allerdings so offensichtlich schwer fiel, daß die Atevi um ihn herum aufmerkten.
Madam Saidin hatte Bren gegenüber bemerkt: »Jasi-ji ist aber leicht erregbar, nicht wahr, nand’ Paidhi? Sehe ich das richtig so? Haben wir ihn vielleicht irgendwie beleidigt?«
Aber es sei beileibe nicht ihre Schuld, hatte er ihr zu Anfang des Winters versichert.
Es gehörte damit zu seinem Job, daß er Jasons unkontrolliertes Mienenspiel entschuldigte, auch jetzt, da er eigentlich viel zu müde war, um für Verständnis zu werben. Atevi außerhalb des engeren Personalkreises würden Jasons Schwierigkeiten jedenfalls nicht verstehen können oder wollen und sich auch gar nicht darum kümmern.
Er wartete ein paar Sekunden, beobachtete Jason dabei, wie er sich um Fassung bemühte, vorsichtig durchatmete und auf angespannte Weise ruhig blieb. Schon besser, dachte Bren bei sich, während der eigene Blutdruck trotz dieser erleichternden Feststellung weiter in die Höhe ging.
»Es war wohl kein guter Tag«, sagte Jason, und fügte, da er sich durch Bren bestätigt sah, hinzu: »Ich sehe, du bist nicht in der Stimmung, mit mir darüber zu reden.«
»Doch, von mir aus können wir reden.« Er haßte sich selbst, wenn er sich bereit erklärte zu leiden.
»Das Essen ist fertig. Ich will dich nicht warten lassen.«
»Mäßigen Sie Ihr Temperament, Nadi.« Bren sprach unbeirrt weiter ragi. Die atevische Sprache half ihm, Ruhe zu bewahren. Sie zwang zur Ruhe. »Und halten Sie Ihre Gesichtszüge unter Kontrolle.«
Jason runzelte unwillkürlich die Stirn, entspannte aber sofort seine Miene und wurde sichtlich ruhig.
»Droht Gefahr?« drängte es Bren zu fragen, jetzt, da für die äußeren Bedingungen eines sachlichen Gesprächs gesorgt war. »Kann ich in irgendeiner Sache helfen? Fürsprache leisten?«
Jason saß seit sechs Monaten in dieser Wohnung fest und büffelte Vokabeln, und es gab Momente der Verzweiflung, über die sich das einsprachige Personal, das nicht ahnte, was Jason durchmachte, nur wundern konnte. In jüngster Zeit war Jason manchmal so durcheinander, daß er sowohl in Ragi als auch in der Muttersprache vergeblich nach den richtigen Wörtern suchte. Dann war er hilflos wie ein Kleinkind; aus seinem Bewußtsein schienen alle Begriffe und Gedankenverbindungen gelöscht zu sein.
Jason hatte, was das Pauken betraf, offenbar den Sättigungspunkt erreicht; wenn er jetzt durchhielte, würde er die Fremdsprache bald fließend beherrschen.
»Ich werde für eine Weile hier bleiben«, sagte Bren freundlich und klopfte ihm auf die Schulter (was er sich bei einem Ateva niemals hätte erlauben dürfen). »Ich verstehe. Wir werden miteinander reden.«
»Ja«, sagte Jason auf ragi, anscheinend besänftigt. »Aber jetzt sollten wir essen gehen.«
5
Bren und Jason saßen sich an den schmalen Seiten des kleinen Eßtisches gegenüber, und unter strikter Einhaltung aller Formen wurden ihnen fünf Gänge aufgetragen. Wenn es nach Bren gegangen wäre, hätte es auch etwas weniger förmlich zugehen können, obwohl er im allgemeinen doch sehr auf Etikette achtete; jetzt lag ihm jedoch vor allem daran, daß Jason Tischmanieren und den richtigen Gebrauch des
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