Athyra
und alles gelernt, weil ich den Eimer gefüllt habe, als ich zwanzig war, also haben sie –«
»Den Eimer gefüllt?«
»Gibt es das in der Stadt nicht?«
»Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört.«
»Oh. Na ja, ich kann mich auch kaum noch daran erinnern. Ich meine, damals war ich ja ziemlich jung. Aber sie geben dir einen Eimer –«
»Wer sind sie?«
»Mä und Pä und Sprecher und Segner.«
»Verstehe. Weiter.«
»Sie geben dir einen Eimer und befehlen dir, in die Wälder zu gehen, und wenn du zurückkommst, schauen sie nach, was im Eimer ist, und beschließen, ob du ein Handwerk erlernen sollst oder nicht.«
»Und du hast deinen gefüllt?«
»Oh, das ist nur so ein Spruch, der bedeutet, sie haben ja gesagt. Ich meine, wenn du mit einem Eimer Wasser wiederkommst, wird Segner dich als Priester versuchen wollen, und wenn du mit Stöcken zurückkommst, dann, na ja, ich weiß nicht genau, woran sie es sehen, aber sie beschließen es halt, und als ich aus dem Wald kam, beschlossen sie eben, daß ich als Lehrbursche zu Meister Wack gehen soll.«
»Aha. Womit bist du denn zurückgekommen?«
»Einem verwundeten Tagedieb.«
»Ah. Das würde es ja erklären, denke ich. Trotzdem, ich kann mir nicht helfen, da ist wohl viel Zufall im Spiel.«
»Was meinst du?«
»Wie oft greift ein Kind nach dem Erstbesten, das es sieht, und endet als Schuster, wenn er doch ein viel besserer Weber wäre.«
»Das passiert nicht«, sagte Savn.
Vlad sah ihn an. »Nein?«
»Nein«, beharrte Savn mit leisem Ärger.
»Woher weißt du das?«
»Weil … es passiert einfach nicht.«
»Weil man es dir immer so gesagt hat?«
Savn spürte, wie er errötete, obwohl er nicht recht wußte, weshalb. »Nein, dafür gibt es doch die Probe.«
Vlad betrachtete ihn eingehend. »Nimmst du immer alles so hin, was man dir sagt, ohne es selbst zu ergründen?«
»Das ist eine unhöfliche Frage«, sagte Savn ohne nachzudenken.
Vlad schien überrascht. »Du hast recht«, sagte er. »Entschuldigung.«
»Manches«, erklärte Savn, »weiß man einfach.«
Vlad zuckte die Achseln und trat einen Schritt von der Klippe zurück. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und legte den Kopf etwas schief. »Tut man das?« fragte er. »Wenn du etwas ›einfach weißt‹, Savn, bedeutet das, es ist so in deinem Kopf verankert, daß du dich verhältst, als sei es wahr, selbst wenn du herausfindest, daß es nicht so ist?« Er kniete sich auf dem Felsen hin, so daß er Savn direkt ansah. »Das ist nicht zwangsläufig ein guter Gedanke.«
»Ich verstehe nicht.«
»Du bist dermaßen überzeugt, daß dein Baron Kleineklippe unbesiegbar und vollkommen ist, daß du ihn dich ohne weiteres töten lassen würdest, anstatt auch nur einen Finger zu deiner Verteidigung zu rühren.«
»Das ist etwas anderes.«
»Wirklich?«
»Du wechselst das Thema. Es gibt Dinge, die weiß man einfach ganz tief drinnen. Du weißt, sie sind wahr, weil sie es einfach sein müssen.«
»Wirklich?«
»Ja doch. Ich meine, woher weißt du, daß wir wirklich hier sind? Du weißt es einfach.«
»Ich kenne ein paar Philosophen, die da anderer Meinung wären«, erwiderte Vlad.
»Die du getötet hast?«
Vlad lachte. »Gut gekontert«, sagte er. Er stand auf, ging wieder an den Klippenrand und starrte erneut in die Ferne. Savn fragte sich, was er wohl finden wollte. »Aber manchmal«, sprach der Ostländer weiter, »wenn es an der Zeit ist, etwas zu unternehmen, ist es von Bedeutung, ob du weißt, warum du es tust.«
»Was meinst du?«
Vlad runzelte die Stirn, was anscheinend sein Gesichtsausdruck war, wenn er überlegte, wie er etwas ausdrücken wollte. »Manchmal wirst du vielleicht so wütend, daß du jemanden schlägst, oder so ängstlich, daß du wegrennst, aber du weißt nicht genau, warum. Manchmal weißt du, warum du etwas unternehmen solltest, aber es steckt allein in deinem Kopf. Du fühlst es nicht richtig, deshalb hast du Schwierigkeiten, dich zum Handeln zu bringen.«
Savn nickte. »Ich weiß, was du meinst. Wie wenn ich erst spät heimkomme, und Mäner fragt mich, was ich gemacht habe, und ich weiß, ich sollte es ihr sagen, aber ich tu es nicht.«
»Genau. Es ist nicht immer leicht, zu handeln, weil du etwas im Kopf hast, aber nicht im Herzen. Und richtig ist es auch nicht immer. Der Kniff, zu wissen, was man tun soll, ist, sich zu entschließen, wann man auf seinen Kopf hören sollte und wann es gut ist, bloß seinen Gefühlen zu folgen.«
»Und
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