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Athyra

Athyra

Titel: Athyra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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beschäftigt.
    Zurückgelehnt starrte er an die Decke, dabei drehten seine Gedanken sich wie paarende Tsalmoths.
    Morgen früh wäre die Ernte zu Ende.
    Dann käme das Fest.
    Dann käme … was?
    Er wollte nicht länger in Kleineklippe bleiben, doch die Vorstellung vom Weggehen war vage, unmöglich, unwirklich – so unwirklich wie das, was er vor dem Haus erlebt hatte, so unwirklich wie die Sachen, die er von dem Ostländer gelernt hatte, so unwirklich wie das, was heute nacht geschehen war. Er steckte zwischen Gehen und Bleiben fest, aber die Wahl lag irgendwo in der Ferne.
    Auch die Vorstellung vom Morgen war vage, unmöglich und unwirklich. Und der zu Ende gehende Tag konnte gar nicht passiert sein. Vielleicht war es ein Traum. Er würde Korall davon erzählen müssen …
    Korall … die Jheregs … die gleichen? Vlad …
    Was soll man tun, wenn nichts einen Sinn ergibt? An die Decke starren und zusehen, wie sie sich in Wellenlinien verwandelt und sich fragen, ob darin die Zukunft geschrieben steht.
    Savn schlief, und falls er träumte, erinnerte er sich nicht daran. Das nächste, was er merkte, war der Morgen, und mit ihm kamen die bekannten Geräusche, wie jeder sich zu rühren begann und wie der Tee roch, den Pä, der immer als erster aufstand, jeden Morgen frisch für die Familie aufbrühte. Savns Arme waren steif und schmerzten; er hatte sie hinter dem Kopf verschränkt und war auf ihnen eingeschlafen. Er ballte die Fäuste und schüttelte sich aus, dann starrte er seine Hände an, als gehörten sie nicht zu ihm. Er erinnerte sich, wie Vlad seine verstümmelte Hand genauso angesehen hatte.
    Alles wirkte seltsam und ätherisch, als wäre die Zeit auf einmal losgelöst. Savn stand vor dem Haus und merkte, daß er sich nicht an sein Frühstück erinnerte, dabei spürte er warmes Brot in seinem Magen. Später stand er hinter Polyi, den Sack in der Hand, und wußte nicht mehr, wie er dorthin gekommen war oder wie der Sack sich so gefüllt hatte.
    Pä war in den Vorratsbauten, wo er schon die Pflanzen auskernte und säuberte, damit sie ins Dorf geschickt werden konnten, während Mä die Säcke für die Abrechnung zählte und wog, so daß Savn und Polyi allein auf dem Feld arbeiteten. Gelegentlich sagte Polyi etwas, und Savn merkte dann später, daß er geantwortet haben mußte, doch an den Inhalt erinnerte er sich nicht mehr.
    Sie beendeten die Ernte, und er merkte es kaum. Polyi schnitt die letzte Pflanze, Savn steckte sie in den halbvollen Sack, band ihn zu und schleppte ihn zu Pä. Für solche Vorsicht gab es keinen Grund, es hatte nicht geregnet. Andererseits, hätten sie die Ernte nicht in den Vorratsbau gebracht, hätte es vermutlich doch geregnet. Stimmte das wirklich? Stimmte irgendwas wirklich?
    Savn setzte den Sack neben den vollen ab. Er spürte, daß Polyi hinter ihm stand. Pä sah sich den Sack an und lächelte Savn zu, der das Lächeln anscheinend erwiderte.
    »Das war’s«, sagte Polyi.
    »Tja«, sagte Pä und stand mit knackenden Knien auf. Er wischte sich die Hände an der Hose ab und sagte: »Dann holt mal die Flasche. Ihr wißt ja, wo sie steht.«
    Er ist ein alter Mann, dachte Savn unvermittelt. Aber auch dieser Gedanke war fern.
    »Mä ist schon unterwegs«, sagte Polyi. »Trinken wir sie hier?« Sie schaute sich im Vorratsbau um, der voller Säcke stand. Der Geruch von Leinöl hing in der Luft.
    »Warum nicht?« fragte Pä zurück. »Na gut, vielleicht können wir an die frische Luft gehen.«
    Komisch, dachte Savn, daß keiner merkt, daß ich mich seltsam verhalte. Selbst Polyi nicht, als wir gearbeitet haben. Vielleicht verhalte ich mich ja überhaupt nicht seltsam. Vielleicht ist mir bloß komisch, und sonst sieht es keiner.
    Mä kam mit der Flasche und den vier besonderen Bechern auf einem Silbertablett. Sie wickelte den Stoff vom Flaschenhals, zog den Wachspfropf heraus und überreichte sie Pä zum Einschenken. Savn sah ganz deutlich die verblichenen schwarzen Buchstaben auf dem grünen Etikett und fragte sich, wer es beschriftet hatte – war es gemacht worden, wo der Wein herkam? Wer hat die Flasche gemacht? Lebte er irgendwo in einer großen Stadt? Fragte er sich je, wer die Flasche kaufen würde, was in sie abgefüllt würde und wer aus ihr trank?
    Und wo wir gerade dabei sind, dachte Savn, wo geht dieser ganze Flachs hin? Diese letzte Pflanze, die wir geschnitten haben, was geschieht damit? Werden die Fasern weggeworfen oder zu Leinen verarbeitet? Wofür wird das Leinen dann

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