Atlan 018 - Der Doppelagent
über den Versuchsgeländen leuchteten manchmal geheimnisvolle Lichter.
Kamla Romo flog nach Westen, zum Verwaltungszentrum der Forschungsstadt. Sinclair Marout Kennon benutzte ebenfalls sein Flugaggregat. Die Erfahrung des vergangenen Tages hatte ihn gelehrt, daß dies ziemlich ungefährlich war, wenn er sich nur in nächster Nähe fahrender Gleiter hielt. Die EnergieEmissionen der Fahrzeuge waren stärker als die seines Flugaggregates.
Ungefähr hundert Meter vor der riesigen Kuppel des Großtransmitters landete Kennon allerdings und schaltete sein Flugaggregat ab. Zu Fuß ging er auf eines der zahlreichen Tore zu. Niemand außer ihm befand sich in der Nähe der Kuppel. Kennon trat behutsam auf, damit seine Schritte nicht durch die Nacht hallten.
Dicht vor dem Tor schaltete der Major seinen Deflektorschirm aus. Er wußte, es war ein Risiko, sich einer mit Sicherheit installierten Torpositronik zu zeigen, noch dazu nicht in der Standardkleidung von Tresor City.
“Was sagt mein delphisches Orakel dazu?” flüsterte er.
“Wovon sprechen Sie, Sir?” fragte Delphi 2.
“Wie kommt es, daß jemand zwar seinen Vornamen, nicht aber den
Familiennamen kennt!” murmelte Kennon: “Tut mir leid, aber du bist ein Fachidiot, Delphi 2.”
“Ja, Sir”, antwortete die Mikropositronik. “Menschen haben mich gebaut und programmiert.”
Sinclair wölbte die Brauen.
“Sieh an, ein Computer mit Mutterwitz! Aber zur Sache!” Er schilderte Delphi 2 die Situation und bat um Rat.
“Ihr Vorgehen wird positiv beurteilt, Sir”, antwortete der Computer. “In eine solche Anlage kämen Sie niemals heimlich hinein. Ich schlage Ihnen vor, die fehlende IDPlakette wie folgt zu begründen: Sie sind ein geheimer Kontrolleur—und geheime Kontrolleure besitzen keine gewöhnlichen Plaketten.”
“Einverstanden. Was besitzen sie also anstelle von gewöhnlichen’ Plaketten?”
“Einen Mikrocomputer, Sir.”
“Saneta simplicitas”, murmelte Kennon und tat den letzten entscheidenden Schritt auf das metallisch glänzende, von innen heraus schwach leuchtende Tor zu.
Plötzlich blinkten zahllose Lichtpunkte auf der Tür, eine Robotstimme schnarrte:
“Bitte, identifizieren Sie sich!” Der Computer’ sprach Interkosmo. “Sie tragen keine ID-Plakette.”
Kennon räusperte sich und sagte mit harter Stimme:
“Ein geheimer Objektkontrolleur trägt keine Plakette, Computer. Mein Ausweis ist von anderer Art.”
Er zog den scheibenförmigen Mikrocomputer aus der Brusttasche seiner Kombination.
“Das ist er. Du kannst dich mit ihm direkt per Funk unterhalten, denn er ist ebenfalls ein Computer.”
Der Torcomputer stellte Delphi 2 einige Fragen, dann gab er den Weg frei.
Sinclair Marout Kennon hatte es sich schwieriger vorgestellt und war im ersten Moment argwöhnisch. Doch dann sagte er sich, daß die Torcomputer in einer hermetisch durch Energieschirme abgeriegelten Stadt, in der eine vielfach gesiebte Elite arbeitete, keine ausgeprägten Wächterfunktionen besaßen. Es war wohl nur bürokratische Angewohnheit gewesen, die die Programmierer veranlaßt hatte, die Torcomputer auf Identifikationsverlangen zu schalten.
Die beiden Torhälften glitten lautlos in die Wände. Dahinter lag eine Halbschale aus gelbem Licht. Mit angespannten Sinnen trat Kennon ein. Hinter ihm schloß sich das Tor wieder, und das Gehirn fühlte sich doppelt von Maschinensystemen eingeschlossen: von denen seiner Vollprothese und denen der Transmitterkuppel.
Die Halbschale aus Licht wanderte mit ihm, bildete eine kleine Oase in der finsteren Maschinenhöhle. Sinclair preßte die Lippen zusammen. Er entsann sich eines Kindheitstraums, der früher immer wiedergekehrt war: Ein böser Zauberer hatte ihn entführt und in eine finstere Höhle gesperrt, umlauert von grausigen Ungeheuern, die ihm gehorchen würden, wenn er zu ihnen die richtigen Schlüsselworte sprach, die ihn jedoch töteten, wenn er die falschen Worte wählte.
Hier war die Höhle aus Stahl, die Ungeheuer waren Maschinen, die dienen, aber auch morden konnten und von denen einige Wege in fremde Welten zu öffnen vermochten.
Kennon grinste humorlos und murmelte:
“Dem Mutigen hilft das Glück. Weichet von mir, Schatten einer lieblosen Kindheit!”
“Was kann ich für Sie tun, Sir?” fragte Delphi 2.
“Nichts, denn niemand kann meine Vergangenheit ungeschehen machen. Ich kenne weder meine Eltern noch den Ort meiner Geburt. Ja, ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich Kennon heiße.”
Er zwang sich mit eisernem
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