Atlan 09 - Illochim 03 - Der Traum des Navigators
zog. Zwischen den Stämmen der meterhohen Bäume wälzte sich träger Nebel und in den weit ausladenden Kronen erkannte der Kommandant immer wieder wimmelnde Bewegung. Vermutlich Tiere – die ersten, die man auf Interlude entdeckte, wenn man einmal Darkos seltsame Steinwürmer außer acht ließ.
»Du hast es tatsächlich geschafft.«
Die Stimme neben ihm ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Er drehte den Kopf zur Seite.
»Elvia …?«, fragte er verwirrt. »Ich … wie lange …?«
»Als du nicht zurückkamst, habe ich Darko gebeten, mich zu dir zu führen«, sagte die Pilotin und deutete über ihre Schulter nach hinten. Der Ortungsoffizier stand ein wenig verloren neben dem Ausgang der Schlucht und hob grüßend die Hand. Dann wandte er sich ab und drang wieder in die Felsspalte ein, vermutlich, um den anderen bei der Organisation der Passage zu helfen.
»Du bist bereits seit einer Stunde hier, Ad«, sagte Elvia mit einem sanften Lächeln.
Adrian Deubtar sah sie entgeistert an, wollte etwas entgegnen, doch sie legte ihm kopfschüttelnd den Zeigefinger auf die Lippen.
»Du hast es dir verdient«, sprach sie weiter. »Den Rest schafft die Crew auch allein. Der Abstieg sieht nicht besonders anspruchsvoll aus, oder?«
»Nein«, stimmte der Kommandant zu.
Von dem Plateau führte eine mäßig abschüssige Geröllhalde auf den Sims einer breiten Sinterterrasse. Ihre Stufen fielen senkrecht ab und waren teilweise mehrere Meter hoch, doch alles andere als unüberwindlich. Vier, vielleicht fünf Stunden. Die ersten Überlebenden würden das Tal noch weit vor der Abenddämmerung erreichen.
»Leider gibt es auch schlechte Nachrichten«, sagte Elvia. »Wir haben zwei weitere Tote zu beklagen. Außerdem sind neben Monique nun auch Thuram und Doc Robertson infiziert. Letzterer bezweifelt inzwischen, dass sich die natürliche Immunisierung in erwünschtem Maße einsetzt. Rund die Hälfte der Besatzung zeigt bereits Symptome. Der Doc befürchtet, dass es früher oder später jeden von uns erwischen wird, und bislang hat kein einziger den Krankheitsverlauf überlebt.«
Adrian Deubtar nickte nur. Er fühlte sich unendlich müde. Er führte einen Krieg, den er nicht gewinnen konnte, und doch kämpfte er weiter. Um jeden Tag, jede Stunde, jeden zusätzlichen Moment an der Seite Elvias, weil ihm diese Zeit wertvoller als alles erschien, was er jemals in seinem Leben besessen hatte.
Mit dem wachsenden Kloß in seinem Hals kamen die Erinnerungen an seinen Vater zurück. Malcolm Deubtar war vor sechzehn Jahren an einer seltenen Form von Knochenkrebs gestorben. Selbst die sündhaft teuren Wundermittel der Aras und eine Reihe von chirurgischen Eingriffen und Strahlentherapien hatten den Verfall nur aufhalten, jedoch nicht stoppen können. Fast drei Jahre lang hatte sich sein Vater gequält, hatte in dem Bewusstsein gelebt, dass es ihm jeden Tag ein bisschen schlechter ging, dass die Kraft und die Lebenslust, die ihn 68 Jahre lang ausgezeichnet hatten, langsam aus ihm heraustropften. Nach und nach versagte ihm sein Körper die Gefolgschaft, ließ ihn immer öfter im Stich – und er, Adrian, hatte nur hilflos zuschauen können, musste diese furchtbare Metamorphose mit ansehen, ohne etwas dagegen tun zu können.
Dennoch war für seinen Vater eine Kapitulation nicht infrage gekommen. Bis heute hatte Adrian nicht wirklich verstanden, warum Malcolm Deubtar das Martyrium auf sich genommen hatte, warum er nicht den leichten, den schmerzfreien Ausweg wählte, warum er es nicht nur sich selbst, sondern auch denen, die ihm nahe standen, so schwer machte.
Elvia war der einzige Mensch, dem er jemals darüber erzählt hatte. Adrian war nie jemand gewesen, der seine Gefühle nach außen reflektierte. Wie es tief in ihm drin aussah, ging seiner Ansicht nach niemanden etwas an. Malcolm Deubtars selbst gewähltes Sterben auf Raten hatte es ihm unmöglich gemacht, seine emotionale Isolation aufrechtzuerhalten – und dafür hatte er seinen Vater auf schwer zu beschreibende Weise gehasst.
Elvia half ihm dabei, sich im Nachhinein über seine Empfindungen klar zu werden. Sie machte ihm begreiflich, dass es keine Schande war, Schwäche zu zeigen. Verlust und Trauer gehörten zum Leben dazu, und keiner konnte sich dieser Erfahrung entziehen. Es war wichtig, sich diesen Gefühlen zu stellen, sie mit anderen zu teilen, denn allein wurde man nur selten damit fertig.
Adrian legte den Arm um die Schultern der zierlichen Frau, spürte, wie sich ihr
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