Atlan 11 - Monolith 01 - Planet der Silberherren
die ich atmete. Dann verdrängte ich den Gedanken wieder. Im Moment hatte ich wirklich andere Sorgen.
Auch die beiden anderen legten Masken an und schnallten Überlebens-Ausrüstungen um. Es schien tatsächlich ihre höchste Aufgabe zu sein, mich zu schützen, denn mir hatte Safira die erste Maske gegeben, die sie in die Finger bekommen hatte.
Ich atmete tief durch, während sie ihre Ausrüstung umschnallte und aktivierte. Ein leises Scharren drang an meine Ohren.
Es war mir wohlvertraut. Es gab Ratten auf der EX-2714. Ich wusste nicht, wovon sie lebten, welche Nahrung sie in den Eingeweiden des Schiffs fanden, doch sie waren da, störten sich nicht an jeglicher Probabilität, die ihre Existenz verleugnete.
Ich bewunderte sie wegen ihrer Beharrlichkeit. Ich mochte sie. Sie hatten sich nie aggressiv mir gegenüber verhalten, geschweige denn mich angegriffen oder gar gebissen, als wüssten sie, dass ich wohl der einzige Freund war, den sie an Bord des Schiffs hatten. Ich hatte mich immer gefragt, in welchen Tiefen der Unterdecks sie sich verbargen, und nun kannte ich die Antwort. In dem Deck unter den Decks, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es überhaupt vorhanden war.
Normalerweise hielten die Tiere einen respektvollen Abstand, doch der Sauerstoffmangel schien auch ihnen zu schaffen zu machen. Sie torkelten aus der Deckung ihrer Nischen und Winkel und bewegten sich wie trunken, wie halbtot.
Sie werden sterben , begriff ich. Sie werden jämmerlich ersticken, langsam, qualvoll. Sie haben keine Überlebens-Ausrüstungen.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass sie mir lieber waren, näher standen als die meisten Menschen an Bord. Ich hatte mich mit ihnen angefreundet, und sie hatten mich nie betrogen, hintergangen oder getäuscht. Sie waren eben, wie sie waren. Und einige von ihnen schienen mich auch zu mögen, so sehr, wie ein Mensch mich nie lieben würde. Wäre ich in diesem Augenblick allmächtig gewesen und hätte entscheiden können, wer nun sterben musste, ein Mensch oder die Ratte, die mir am liebsten war, oder auch nur irgendeine von ihnen, ich hätte keinen Augenblick gezögert.
Ich würde den Menschen sterben lassen. Niemals das Tier.
Hektisch tastete ich in den Taschen meines Overalls. Ich kannte die Ratten, und ich mochte sie. Ich war stets auf sie vorbereitet, so, wie Safira auf diese Situation vorbereitet war.
Endlich fand ich, was ich suchte: einen Konzentratriegel. Seit ich von den Ratten an Bord der EX-2714 wusste, hatte ich immer einen dabei. Ich riss die Verpackung an einem Ende auf und warf den Riegel den fünf, sechs Tieren zu, die sich trotz des Sauerstoffmangels zu ihrer Speisung zusammengefunden hatten. Die Ratten fielen darüber her, dass es nur eine Freude war, kämpften schließlich sogar um die energie- und kalorienreiche Köstlichkeit.
Ich sah, dass die Verpackung von Winer Melhers Blut und verschmiert war. Es musste eine wahre Delikatesse für die Tiere sein, ein Festmahl.
Und wohl der letzte Trost, den ich – und sie – in diesem Leben noch empfinden würden.
»Das war der erste Schritt«, riss Safira mich aus meinen Gedanken. Wegen der Sauerstoffmaske waren ihre Worte kaum zu verstehen.
Wenn eine Ratte sprechen könnte , dachte ich, würde es sich so ähnlich anhören.
»Und jetzt kommt der zweite«, fuhr sie fort. »Wir müssen den Raum im Maschinendeck stürmen, in dem sich die Verräter verschanzt haben, oder sie sprengen das ganze Schiff in die Luft.« Sie sah mich an. »Und der Unberührte stirbt.«
»Da sind Sie ja!«, drang Captain Alexanders Stimme aus dem Interkom. »Schön, dass Sie es geschafft haben. Ich habe gehört, es hätte ein paar Probleme gegeben.«
Der Bordfunk der EX-2714 arbeitete vollautomatisch. Von der Schiffspositronik gesteuert, stellt er nach Benennung der Stelle, mit der man Kontakt aufnehmen wollte, sofort die Verbindung her und schaltete sie nach Beendigung eines Gesprächs selbstständig wieder aus. Die zur Verfügung stehenden Sicht-Sprech-Phasen verhinderten Überlagerungen von mehreren Gesprächen.
Alexander hatte die Bildfunktion allerdings desaktiviert. Nur seine befehlsgewohnte, kalte, arrogante Stimme war zu vernehmen.
Wahrscheinlich wollte er vermeiden, dass wir sahen, wie schlecht es ihm ging. Wenn er und seine letzten Getreuen keine Raumanzüge angelegt hatten – und das war wahrscheinlich das erste gewesen, was die »Verräter« verhindert hatten –, würde der Sauerstoffmangel ihnen genauso zu schaffen
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