Atlan 12 - Monolith 02 - Todeszone Zartiryt
Positronik wird die Kammer wieder versiegeln, denn auch dieser Vorgang gehört zu ihren Primärbefehlen, und ohne ein intaktes Siegel komme ich nicht an den Kern heran. Einen Schutzanzug kann ich nicht tragen, denn zum einen wäre er zu klobig und ich würde nicht mehr in die Kammer passen, zum anderen haben wir sämtliche Monturen fachmännisch aus dem Verkehr gezogen. Für andere Lösungen fehlt uns – ich sagte es schon – die Zeit.
Wie auch immer: Sobald der Kern tot ist, warte ich so lange wie möglich, dann schalte ich ihn wieder ein. Wenn mir der liebe Gott wohlgesonnen ist, was ich bei meinem Lebenswandel allerdings ernsthaft bezweifle, sitze ich kurz darauf mit zwei leicht bekleideten Jungfrauen auf einer Wolke und sehe die IMASO und ihre Besatzung gesund und glücklich in Richtung Sonnenuntergang fliegen. Denn, und das ist der springende Punkt, mein junger Freund, herausholen darf man mich aus der Vakuumkammer erst, wenn die Positronik vollständig wiederhergestellt ist. Wird das Siegel vorher verletzt, war alles umsonst, und der Vorgang wird gestoppt. Im Prinzip haben sich die Ingenieure das schlau ausgedacht, um die Positronik vor Schaden zu bewahren. In unserem Fall geht der Schuss nach hinten los – zumindest für meine Wenigkeit.«
Marcus Merten atmete schwer. Was Milton Elks ausgeführt hatte, entsprach in allen Einzelheiten den Tatsachen. Das Hochfahren einer Positronik, noch dazu einer Positronik, der man – wie hatte es der Cheftechniker so dramatisch ausgedrückt – das Herz herausgerissen hatte , war ein hochsensibler Prozess. Ein Siegelbruch der Vakuumkammer führte zu seinem sofortigen Abbruch.
»Los jetzt«, herrschte ihn Elks an. »Her mit dem Schlüssel. Ich bin ein alter Mann, Sie haben das Leben noch vor sich. Einfacher wird die Rechnung nicht mehr. Mensch, Merten, denken Sie doch nach. Sie sind der Retter der IMASO. Die Weiber werden sich um Sie prügeln. Sie werden befördert und können sich Ihren nächsten Posten praktisch aussuchen. Sagen Sie ein paar nette Worte bei meiner Trauerfeier, und wir sind quitt.«
Marcus Merten lächelte. Die Veränderung kam selbst für ihn überraschend. Mit einem Mal fiel jegliche Anspannung von ihm ab. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so im Einklang mit sich selbst gefühlt. Er hatte von solchen Zuständen gehört, die man angeblich nur mit viel Übung und großer Disziplin erreichen konnte, sie bislang jedoch eher für die Erfindung cleverer Geschäftemacher und selbsternannter Persönlichkeitstrainer gehalten. Warum Milton Elks bereit war, sein Leben zu opfern, wusste er nicht, doch er wusste sehr genau, warum er, Marcus Merten, es tun wollte, ja, es sogar tun musste .
»Danke für das Angebot, Chef«, sagte er, »aber es war meine Idee. Ich möchte zumindest einmal in meinem Leben etwas, das ich angefangen habe, auch beenden.«
»Ich bin immer noch Ihr Vorgesetzter, Merten«, erwiderte der Marsianer wütend. »Und ich befehle Ihnen, mir auf der Stelle diesen verfluchten Schlüssel auszuhändigen.«
»Ich könnte es Ihnen erklären, Chef, aber es wäre Zeitverschwendung. Sie können es nicht begreifen.«
Marcus Merten schob den kleinen Elks sanft beiseite und ging die wenigen Schritte zum Sicherheitsschott hinüber. Der runde, knapp einen Meter durchmessende Einlass war nur mit dem speziellen Kodeschlüssel zu öffnen. Naileth Simmers hatte ihn vor zwanzig Minuten aus einem gesicherten Fach ihrer Kommandokonsole gezogen und mittels ihrer Individualschwingungen aktiviert.
»Merten! Tun Sie das nicht, Sie armer Irrer!«
Der Techniker steckte den Schlüsselkopf in einen schmalen Schlitz an der Wand, das Schott fuhr lautlos zur Seite, und er stieg hindurch. Seltsamerweise fühlte er keine Schmerzen mehr. Hinter ihm schloss sich die Öffnung wieder und entfernte den zeternden Milton Elks für immer aus seinem Leben.
Ein schnurgerader Schacht führte etwa fünf Meter weit bis an einen silbern glänzenden Zylinder heran. Dahinter, so wusste Marcus, lagerte in Fesselfeldern der Positronikkern. Der Techniker befand sich jetzt unmittelbar unter der Zentrale des Kreuzers. Diese und die Positronik selbst waren die beiden bestgesicherten Bereiche des gesamten Schiffes.
Den Zugang zur Vakuumkammer konnte man auf den ersten Blick kaum erkennen, ein Quadrat aus hauchdünnen Linien mit einer Seitenlänge von etwa 60 Zentimetern und auf der schimmernden Zylinderwand nur schwer auszumachen. Erneut setzte Marcus den Kodeschlüssel ein. Diesmal
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