Atlantis
hinaus, ganz recht.«
Einen Moment lang herrschte Stille, dann ergriff Garretsen das Wort. Was er sagte, hätte das Epitaph unserer kurzen Ära sein können. »Ihr habt mich enttäuscht, Jungs«, sagte er. »Kommen Sie, Charles, wir haben hier nichts mehr
verloren.« Garretsen nahm seine Aktentasche, machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür.
Ebersole schaute überrascht drein, eilte ihm jedoch nach. Dearie und seine Schützlinge aus dem zweiten Stock blieben zurück und starrten einander misstrauisch und vorwurfsvoll an.
»Danke, Jungs.« David war den Tränen nahe. »Ganz, ganz herzlichen Dank, ihr Scheißkerle .« Er ging steifbeinig hinaus, den Kopf gesenkt, seine Aktenmappe in einer Hand. Im nächsten Semester zog er aus der Chamberlain aus und trat in eine Verbindung ein. Alles in allem war es wahrscheinlich das Beste. Wie Stoke vielleicht gesagt hätte: Dearie hatte seine Glaubwürdigkeit verloren.
40
»Das habt ihr also auch geklaut«, sagte Stoke Jones in seinem Bett in der Krankenstation, als er endlich wieder sprechen konnte. Ich hatte ihm gerade erzählt, dass fast alle in der Chamberlain Hall jetzt die Spatzenspur auf mindestens einem Kleidungsstück trugen, weil ich angenommen hatte, diese Neuigkeit würde ihn aufmuntern. Ich hatte mich geirrt.
»Nun komm mal wieder runter, Mann«, sagte Skip und tätschelte ihm die Schulter. »Sonst kriegst du noch’nen Blutsturz.«
Stoke sah ihn nicht einmal an. Der anklagende Blick seiner schwarzen Augen war weiterhin auf mich gerichtet. »Ihr habt das Verdienst für die Sache in Anspruch genommen, dann habt ihr euch das Friedenszeichen unter den
Nagel gerissen. Hat einer von euch schon mal in meine Geldbörse geschaut? Ich glaube, da waren neun oder zehn Dollar drin. Die hättet ihr euch auch gleich nehmen können. Dann wär’s’ne runde Sache gewesen.« Er drehte den Kopf zur Seite und begann, kraftlos zu husten. An diesem kalten Tag Anfang Dezember 1966 wirkte er verdammt viel älter als achtzehn.
Es war vier Tage her, dass Stoke im Bennett’s Run schwimmen gegangen war. Am zweiten Tag schien der Arzt - Carbury war sein Name - zu akzeptieren, dass die meisten von uns Stokes Freunde waren, ganz gleich, wie absonderlich wir uns aufgeführt hatten, als wir ihn herbrachten, denn wir kamen immer wieder vorbei und erkundigten uns, wie es ihm ging. Carbury war seit einer Ewigkeit in der Krankenstation des Colleges, wo er Medikamente gegen Halsentzündungen verschrieb und bei Softballspielen ausgerenkte Handgelenke schiente, und wusste wahrscheinlich, dass es keine Erklärung für das Benehmen junger Männer und Frauen gab, die sich dem Erwachsenenalter näherten; sie mochten wie Erwachsene aussehen, aber die meisten hatten nach wie vor jede Menge Kindheitsschrullen. Nick Prouty, der vor dem Dekan für männliche Studenten einen auf Foghorn Leghorn gemacht hatte - na, das dürfte als Beispiel wohl genügen.
Carbury erzählte uns nie, wie schlimm es um Stoke gestanden hatte. Eine der freiwilligen Helferinnen (die schon halb in Skip verliebt war, als sie ihn zum zweiten Mal sah, glaube ich) vermittelte uns ein klareres Bild, obwohl es eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Dass Carbury ihn in ein Einzelzimmer gelegt hatte statt in die Krankenstube für Männer, sagte uns einiges; dass wir während der ersten
achtundvierzig Stunden seines Aufenthalts nicht einmal einen winzigen Blick zu ihm hineinwerfen durften, sagte uns noch mehr; und dass er nicht ins nur zehn Meilen entfernte Eastern Maine verlegt worden war, sagte uns am allermeisten. Carbury hatte nicht gewagt , ihn zu verlegen, nicht einmal mit dem Krankenwagen der Universität. Stoke Jones’ Zustand war in der Tat kritisch gewesen. Der Helferin zufolge hatte er eine Lungenentzündung, einsetzende Unterkühlung (von seinem Bad) und bis zu 41 Grad Fieber. Sie hatte gehört, wie Carbury in einem Telefongespräch sagte, dass Jones fast mit Sicherheit gestorben wäre, wenn seine Lungenfunktion durch seine Behinderung noch stärker beeinträchtigt gewesen wäre oder wenn er in den Dreißigern oder Vierzigern gewesen wäre statt achtzehn.
Skip und ich waren die ersten Besucher, die zu ihm durften. Jeder andere Student im Wohnheim wäre wahrscheinlich von mindestens einem Elternteil besucht worden, aber das war in Stokes Fall ja unmöglich, wie wir jetzt wussten. Und wenn es andere Angehörige gab, so hatten sie sich bisher nicht blicken lassen.
Wir erzählten ihm alles, was in jener Nacht passiert war,
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