Atme - wenn du kannst!
gelang es ihr irgendwann, endlich einzuschlafen.
3. KAPITEL
Als die Fortuna in der Morgendämmerung ablegte, wurde Emily von dem Motorengeräusch wach. Außerdem schwankte der Bootsrumpf stärker, als sie das Hafenbecken hinter sich ließen. Emily schlüpfte schnell in ihren Jogginganzug und eilte an Deck, während Melanie und Vivian noch an der Matratze horchten. Sie wollte miterleben, wie die Fortuna in See stach, und hoffte, mit dem Land auch ihre finstere Vergangenheit hinter sich lassen zu können.
Plötzlich empfand Emily tiefe Scham, weil sie in der vergangenen Nacht solche Befürchtungen wegen eines möglichen Eindringlings gehabt hatte. Sie kam sich vor wie eine hysterische Zicke und war froh, dass niemand etwas von ihrem leichten Panikanfall mitbekommen hatte. Der Psychoterror durch ihren Ex Jim Meadows hatte mehr Spuren hinterlassen, als sie sich eingestehen wollte.
Doch als sie an der Reling stand, war jeder düstere Gedanke vergessen. Die aufgehende Sonne tauchte den leicht bewölkten Horizont in ein malvenfarbenes Licht. Trotz der frühen Stunde war es schon warm genug, dass Emily an der frischen Luft nicht fror. Sie fischte ein Haarband aus der Tasche und band ihr Haar damit zusammen, das ihr vom Wind ins Gesicht geweht wurde.
„Wirklich sehr schön.“
Emily zuckte zusammen, als sie die tiefe männliche Stimme hörte. Sie hatte nicht mitbekommen, dass Kendall neben sie getreten war. Er trug Segelschuhe, die seine Schritte fast lautlos machten. Außerdem brummten die Bootsmotoren. Der Lärm war nicht besonders groß, aber er übertönte leisere Geräusche.
Kendall stand nur einen Schritt von Emily entfernt. Er schaute in die gleiche Richtung wie sie, daher hatte er auch sie in seinem Blickfeld. Fand der Kapitän den Sonnenaufgang sehr schön? Oder ihr Gesicht? Oder beides? Zwar machte er keine Annäherungsversuche, aber Emily glaubte sein Interesse zu bemerken. Sie lachte verlegen und suchte ein unverfängliches Gesprächsthema.
„Guten Morgen, Kapitän. Ich hatte geglaubt, Sie wären an den Anblick der karibischen See am frühen Morgen schon längst gewöhnt.“
„Das bin ich auch, Emily. Aber deshalb kann mir diese Stimmung doch trotzdem gefallen, oder? Ich liebe meinen Beruf schließlich auch deshalb, weil ich ständig draußen in der Natur sein kann. Wenn ich in einem Büro arbeiten müsste, würde ich eingehen wie eine Mangrovenpflanze ohne Wasser.“
„Sind Sie schon lange Tauchlehrer?“
„Mein halbes Leben lang, jedenfalls kommt es mir so vor. Ich habe früher die unterschiedlichsten Dinge getan, und nicht immer ging mein Weg in die richtige Richtung. Aber das ist vorbei und lässt sich nicht mehr ändern, obwohl die Vergangenheit ständig unser Begleiter ist.“
Die Worte klingen ziemlich geheimnisvoll, dachte Emily. Doch Kendalls Tonfall verriet gleichzeitig, dass er nicht weiter über diese Dinge reden wollte. Aber warum machte er dann überhaupt solche seltsamen Andeutungen? Kam es Kendall einfach nur darauf an, sich in Emilys Augen interessant zu machen?
Das war gut vorstellbar. Emily wusste, dass es manche Frauen in ihrem Alter gab, die auf graue Schläfen standen. Ihr Fall war das nicht. Bisher hatte sie immer nur gleichaltrige Freunde gehabt, und nach ihren Erfahrungen mit Jim Meadows war sie ohnehin doppelt und dreifach auf der Hut. Aber dennoch fühlte sie sich irgendwie zu Kendall hingezogen. Er hatte etwas an sich, das sie in ihrem tiefsten Inneren berührte. Aber vielleicht war ihre romantische Stimmung auch nur auf den Zauber des Augenblicks zurückzuführen. Die Karibik gehörte schließlich zu den beliebtesten Traumzielen für Urlauber aus aller Welt, und genau dorthin führte sie ihr gerade begonnener Tauchtrip.
„Müssten Sie nicht eigentlich am Ruder stehen, Kapitän? Oder ist Sam momentan am Steuer?“
„Nein, er bereitet das Frühstück vor. Die Fortuna verfügt über einen Autopiloten, den ich momentan eingeschaltet habe. Das ist ganz praktisch, zum Beispiel wenn ich euch Tauchlektionen erteile und mich dann nicht noch gleichzeitig um die Navigation kümmern muss. Aber nun will ich wirklich lieber auf die Brücke zurück. Wir sehen uns dann später.“
Kendall nickte Emily freundlich zu und ging davon. Sie schaute ihm nach. Für einen so großen und starken Mann bewegte er sich bemerkenswert geschmeidig und fließend. Man konnte die Kraft förmlich spüren, die in ihm stecken musste.
Inzwischen wurden auch die anderen Tauchschüler allmählich
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