Atme - wenn du kannst!
sich wieder dem Steuerrad und dem Kreiselkompass.
Emily und Sam holten genügend Rettungswesten aus einer der abgeschlossenen Kammern unter Deck. Emily musste plötzlich mit schwarzem Humor an ihren Ex denken. Falls Jim Meadows sich wirklich irgendwo an Bord verkrochen hatte, dann würde er von der Sturmwarnung nichts mitbekommen und im Ernstfall ohne Weste dastehen. Wenn es dann hart auf hart kam, hatte er extrem schlechte Karten. Ob er dann alles bereute, was er ihr jemals angetan hatte? Aber auch diese Vorstellung konnte Emily nicht wirklich aufmuntern.
Emily befürchtete, dass Melanie beim Anblick der Schwimmweste wieder hysterisch werden würde. Aber das geschah zum Glück nicht. Melanie war jetzt völlig passiv und teilnahmslos, und das gefiel Emily auch nicht. Emily half ihr beim Anlegen der Rettungsweste, Melanie ließ alles über sich ergehen.
„Wir sind doch sowieso verloren. Wenn wir von den Gangstern nicht erwischt werden, dann vom Sturm. Wie geht noch mal diese Redensart? Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera – so heißt es doch, oder?“
„Ja, aber das ist Unsinn, jedenfalls in unserer Situation. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben und müssen weiterkämpfen, bis wir Hilfe gefunden haben. Kendall ist ein erfahrener Kapitän. Wenn es jemanden gibt, der uns sicher durch einen Hurrikan führen kann, dann ist er es.“
„Ich weiß nicht.“ Melanies Stimme war so dünn wie die eines kleinen Kindes. „Die See ist unendlich groß. Wie sollen wir gefunden werden, wenn unser Schiff wirklich untergeht?“
Emily packte sie fest an den Oberarmen und redete beruhigend auf sie ein.
„Glaubst du, dass die Behörden nicht auf einen Hurrikan vorbereitet sind? Ich wette, dass in diesem Moment schon die ersten Rettungsmannschaften in den Startlöchern stehen. Jedes Jahr gehen Boote und Schiffe unter, wenn die Hurrikan-Saison beginnt. Aber die Besatzungen werden oft gerettet. Wenn die Fortuna von den Radarschirmen der Navy verschwinden sollte, dann wissen die Retter ja, in welchem Gebiet sie nach uns Ausschau halten müssen. Du darfst nur den Mut nicht verlieren, das ist das Wichtigste überhaupt.“
„Du bist so stark, Emily. Darum habe ich dich beneidet, vom ersten Moment an. Es tut mir total leid, was ich vorhin für Gemeinheiten über dich gesagt habe. Aber das kommt nur daher, dass ich in Wirklichkeit gerne so wäre wie du.“
Dieses Geständnis überraschte Emily völlig. Ob sie wirklich so selbstsicher auf andere Menschen wirkte? Der Psychoterror durch ihren Ex hatte sie eigentlich innerlich zermürbt. Aber andererseits hatte sie sich nie unterkriegen lassen. Vielleicht war es ja diese Zähigkeit, die auf Melanie wie Kraft und Festigkeit wirkte. In diesem Moment begriff Emily, dass Jim Meadows sie niemals kleingekriegt hatte. Und das war ein sehr gutes Gefühl, obwohl die Lage auf der Fortuna immer bedrohlicher wurde.
Gewiss, von dem Verfolgerschiff war nichts mehr zu sehen. Trotzdem sprach nichts dafür, dass die Verbrecher aufgeben würden. Und dann war da noch eine neue Gefahr, die man weder übersehen noch überhören konnte.
Der Hurrikan.
Obwohl Emily im wirbelsturmgefährdeten Florida aufgewachsen war, hatte sie noch niemals selbst einen Hurrikan miterlebt. Allerdings war sie mit ihrer Mutter früher einmal durch eine Gegend gefahren, in der diese Naturgewalten gewütet hatten. Dort hatte es ausgesehen wie nach einem Bombenangriff. Häuser waren zerschmettert und Bäume entwurzelt worden, Autos lagen auf dem Dach oder auf der Seite.
Der Wind brauste mit Sturmstärke um die Aufbauten der Fortuna. Kendall schrie seine Tauchschüler an, dass sie in die Kabine gehen sollten. Das waren die letzten Worte, die man vom Kapitän hören konnte. Danach hatte der Orkan eine solche Lautstärke erreicht, dass kein Gespräch mehr möglich war.
Gemeinsam mit allen anderen ging Emily unter Deck. Dabei musste sie sich mit beiden Händen an der Reling und am Treppengeländer festhalten, denn die Motorjacht schwankte inzwischen beängstigend weit hin und her. Panik und Angst machten sich in Emily breit und waren sogar stärker als die aufkommende Seekrankheit. Es kam ihr wie ein Hohn vor, dass sie sich vor wenigen Minuten noch so sicher und selbstbewusst gefühlt hatte. Ein Blick in die Gesichter der anderen Tauchschüler zeigte ihr allerdings, dass es offensichtlich keinem von ihnen besser ging als ihr.
Selbst Andy war die Furcht anzusehen, obwohl er ihr tapfer zulächelte. Aber er sah dabei aus wie
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