Atme - wenn du kannst!
kann das nicht entschuldigen und auch nicht rückgängig machen. Ich bin wie ein Feigling davongerannt. Jahrelang habe ich in Nepal und in Indonesien in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Dort konnte ich erleben, wie stolz die Menschen auf ihre Kinder waren. Allmählich dämmerte mir, dass ich einen riesigen Fehler gemacht hatte. Ich kehrte zurück in die Staaten und wollte meine Tochter sehen. Aber Brenda hatte auch ihren Stolz.“
Emily musste unwillkürlich grinsen.
„Ja, angeblich habe ich diese Eigenschaft von meiner Mom geerbt.“
„Das kann ich mir vorstellen. Auf jeden Fall warst du schon fünf Jahre alt, und Brenda wollte nichts mit mir zu tun haben. Sie jobbte halbtags für die Stadtverwaltung und wurde ansonsten von ihren Eltern unterstützt. Ich hatte kein Geld, denn in der Entwicklungshilfe verdient man keine Reichtümer.“
„Und was war mit deinen eigenen Eltern? Hätten die nichts für dich tun können?“
„Ich bin Waise. Von daher war ich daran gewöhnt, mich allein durchs Leben zu schlagen. Deshalb hat es mich ja auch so erschreckt, plötzlich eine eigene Familie zu haben und für mein Kind Verantwortung übernehmen zu müssen. Das wollte ich nicht.“ Er schluckte. „Wie gesagt, seitdem habe ich mich geändert. Aber ich kann meine Fehler nicht ungeschehen machen.“
„Als Kind habe ich mir immer einen Dad gewünscht“, gestand Emily. „Und meine Freundinnen habe ich darum beneidet. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich auch ohne dich auskommen konnte. Mom hatte auch mal eine Zeit lang einen Freund, aber der war ein richtiger Looser. Es war mir richtig peinlich, dass irgendwelche Leute denken könnten, der Typ wäre mein echter Vater. Irgendwann wollte ich überhaupt nichts mehr von dir wissen. Ich sagte mir, wenn du mich nicht willst, dann verdienst du mich auch nicht.“
Beschämt senkte Kendall den Blick.
„Du bist eine richtig starke junge Frau geworden. Und ich habe es versäumt, dich aufwachsen zu sehen. Ich bin so ein Idiot gewesen.“
„Ja, das warst du wirklich.“
In Emilys Innern herrschte ein absoluter Gefühlswirrwarr. Als pubertierender Teenie hatte sie ihren Vater gehasst, weil er nicht für sie da gewesen war. Später hatte Emily eine Art Desinteresse entwickelt. Sie war nicht davon ausgegangen, ihren Dad jemals im Leben zu treffen. Und nun?
Emily trieb gemeinsam mit ihrem Vater als Schiffbrüchige in der karibischen See. Konnte es ein dramatischeres Familientreffen geben? Aber Emilys Groll gegen ihren Dad wich allmählich einer starken Neugier. Sie hatte Kendall ja sympathisch gefunden, als sie noch nichts von ihrer Verwandtschaft mit ihm gewusst hatte. Nun erklärte sich natürlich auch, warum er sie – bewusst oder unbewusst – den anderen Tauchschülern vorgezogen hatte. Wahrscheinlich war es einfach Kendalls Vaterstolz gewesen, der ihn Emilys Leistungen stets so hatte hervorheben lassen.
Und überhaupt – das Tauchen. Konnte es Zufall sein, dass sie und ihr Vater sich für den gleichen Sport begeisterten? Emily hätte ja auch Basketball oder Tennis oder irgendeine andere Sportart betreiben können. Und für das Tauchen hatte sie sich aus freien Stücken entschieden, ohne von ihrer Mutter beeinflusst worden zu sein. Das musste auf ihre Mom seltsam gewirkt haben, denn sie musste doch wissen, dass Emilys Vater inzwischen Tauchlehrer war. Da drängte sich sofort eine weitere Frage auf.
„War dieser Tauchurlaub eigentlich deine Idee oder die von Mom?“
„Brenda und ich haben den Plan gemeinsam geschmiedet. Brenda hatte mir schon vor einiger Zeit am Telefon erzählt, dass du mit dem Tauchsport angefangen hast. Das war für mich ein Wink des Schicksals, denn ich besaß zu der Zeit schon einige Jahre lang meine Tauchschule. Du hattest ja mit vierzehn so eine schwierige Zeit, in der du nichts von mir wissen wolltest. Also haben wir uns überlegt, dass du mich vielleicht zunächst einfach ganz neutral kennenlernen könntest. Ohne dass … hm …“
„Du meinst, ohne dass du mir unter die Nase reiben musstest, dass du mein Vater bist?“
„Ja, genau.“
Emily hatte unzählige Fragen an ihren Vater. Doch vor allem wollte sie jetzt wissen, was aus Andy und den übrigen Tauchschülern geworden war.
„Hast du die anderen gesehen, Dad? Ich habe keine Ahnung, wo wir uns befinden. Ist die Fortuna irgendwo hier in der Nähe untergegangen?“
Kendalls Augen funkelten.
„Du hast mich gerade zum ersten Mal Dad genannt!“
„Ja, ich muss mich wohl langsam
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