Atme - wenn du kannst!
und spülte das Büchsenfleisch mit Cola herunter. Danach durchsuchte sie die Esperanza nach nützlichen Gegenständen. Die wichtigste Entdeckung war zweifellos die Stablampe, die sie schon am Vorabend gefunden hatte. Außerdem fand Emily ein Messer, das sie sicherheitshalber einsteckte. Es konnte nicht schaden, sich im Notfall verteidigen zu können. Ihr eigenes Handy hatte sie leider irgendwann während des Schiffsbruchs verloren. Es lag vermutlich auf dem Grund der karibischen See. Emilys Pulsschlag beschleunigte sich, als sie an Bord des Fischerboots ein Handy entdeckte. Aber es war für sie völlig unbrauchbar, denn der Akku war leer. Und falls es irgendwo ein Ladekabel gab, dann konnte sie es nicht finden.
Natürlich verfügte die Esperanza auch über eine Funkanlage. Aber Emily stand hilflos vor dem Gerät. Sie konnte nicht funken, und selbst wenn sie den Apparat hätte bedienen können – Strom gab es nach wie vor nicht. Zwar entdeckte sie auch die Lichtmaschine, durch die Elektrizität erzeugt wurde. Aber der Apparat sah so demoliert aus, dass sich Emily eine Reparatur nicht zutraute.
Kurze Zeit später verließ Emily die Kabine und trat hinaus auf das Deck. Sie trug nun eine Arbeitshose, die ihr etwas zu weit war, und außerdem ein marineblaues T-Shirt im Schlabberlook. Sie hatte darauf verzichtet, ihre triefendnassen Schuhe wieder anzuziehen, da sie gern barfuß lief. Sie musste nur aufpassen, dass sie nicht auf einen der angeschwemmten Seeigel trat. Flaschenscherben hatte sie nicht zu befürchten, denn es gab hier offenbar weit und breit keine Menschenseele.
Das havarierte Fischerboot war an einen Strand geschwemmt worden, der einer karibischen Postkartenidylle glich. Der Himmel war tiefblau, keine einzige Wolke war zu sehen. Die Wipfel der Palmen wiegten sich in einer sanften Brise, und zwischen den Baumstämmen gab es eine dichte grüne tropische Vegetation. Das Einzige, was fehlte, waren Leute.
Emily kletterte auf das Kabinendach der Esperanza, um sich besser orientieren zu können. Das Meer hatte sich längst beruhigt. Es war kaum zu glauben, dass hier noch vor kurzer Zeit ein fürchterlicher Wirbelsturm getobt hatte. Außer dem Wrack am Strand war kein einziges Schiff oder Boot zu sehen. Emily fragte sich, wo sie überhaupt war. Auf der lang gestreckten Halbinsel der Florida Keys? Auf dem Festland, irgendwo in der Nähe von East Cape? Oder vielleicht sogar auf einer der unzähligen unbewohnten Inseln in der Florida Bay?
Sie wusste es nicht. Und wenn sie es herausfinden wollte, musste sie sich selbst auf die Suche machen. Emily verließ das Fischerboot und ging am Strand entlang. Das warme Wasser umspülte ihre nackten Füße. Sie nieste abermals. Offenbar hatte sie sich eine leichte Erkältung eingefangen. Das war zum Glück der einzige Schaden, den sie bei dem Schiffbruch genommen hatte. Gewiss, ihr Handy und ihre sämtlichen Sachen waren fort. Aber das fand sie nicht so schlimm. Viel wichtiger war ihr die Frage, ob Andy noch lebte. Doch darüber blieb sie weiterhin im Unklaren. Stattdessen suchte sie den Strand nach Hinweisen ab.
Schon nach wenigen Schritten wurde Emily fündig. In der Dünung entdeckte sie einen Plastikkanister, der angespült worden war. Sie hob das Ding aus dem Wasser. Emily hätte schwören können, dass solche Behälter auch an Bord der Fortuna gewesen waren. Aber dadurch wurde noch gar nichts bewiesen. Emily setzte ihren Weg fort. Erneut wurde ihr das Herz schwer, und sie fürchtete sich vor ihrer nächsten Entdeckung. Wenn sie nun wirklich einen toten Menschen fand? Und wenn es dann auch noch jemand war, der ihr viel bedeutete … Emily schüttelte sich, als wollte sie einen bösen Traum abstreifen.
Und dann erblickte sie plötzlich etwas, worauf sie insgeheim gehofft hatte.
Fußspuren!
Emily hätte am liebsten vor Glück geschrien. Sie war keine Fährtenleserin, aber die Abdrücke im Sand stammten offenbar von mehreren Männern. Jedenfalls waren die Spuren viel größer als die von ihren eigenen nackten Füßen. Es mussten mehrere Leute sein, die hier an Land gestapft waren, vielleicht fünf oder sechs.
Emily atmete bereits tief ein, um zu rufen und auf sich aufmerksam zu machen. Im letzten Moment bremste sie sich selbst. Ihre Erleichterung wich einem bohrenden Misstrauen. Sie erinnerte sich an die furchtbare Begegnung mit den schießwütigen Raubtauchern. Wenn es nun diese Mistkerle waren, deren Spuren sie hier entdeckt hatte?
Emily machte sich keine Illusionen
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