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Atomvulkan Golkonda

Atomvulkan Golkonda

Titel: Atomvulkan Golkonda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi & Boris Strugatzki
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heftige Nordwind schiebt die wankenden Gestalten vorwärts. Die Wolken sind von dem Atomvulkan herangezogen, während Bykow schlief. Am Horizont pendeln die schlangenartigen Schatten der Windhosen. Alles ist genauso wie vor drei Wochen, als der Knabe munter gegen den Wind auf die Golkonda zustrebte. Jetzt ist er in dem verglasten Sande eingeschmolzen, erstarrt und tot – ein gewaltiges Denkmal des großen Marsches. Den ewigen Schlaf schläft sein Kommandant; irgendwo zwischen den Felsen hat Bogdan Spizyn seinen rätselhaften Tod gefunden ... Doch der Marsch ist noch nicht beendet. Noch nicht!
    Jedes Mal, wenn Bykow aus seinem schweren Schlaf erwacht, hasst er Jurkowski erbittert. Der Geologe kann die Trage nicht mehr halten. Immerzu strauchelt er und lässt Dauge fallen. Noch einmal hat er die Flucht in den Sand versucht. Doch Jurkowski darf nicht sterben. Schon deshalb nicht, weil mit ihm sein kostbares Wissen verloren gehen würde – das Wissen eines Menschen, der die Zugänge zur Golkonda studiert hat. Er muss das Ziel erreichen, dieser Wagehals, Dichter und »Fant«, er wird den Menschen die Golkonda geben und diese märchenhaften Wüsten, wo der Sand wertvoller ist als Gold und Platin ... Und dennoch – jedes Mal, wenn Bykow vor dem Beginn eines neuen Fünfzehn-Kilometer-Marsches erwacht, hasst Bykow ihn wie einen Feind.
    »Wie war die Nacht?«
    »Alles ruhig.«
    »Hast du geschlafen?«
    »Ein bisschen, an die zwei Stunden ...«
    »Macht nichts. Kannst weiterschlafen, wenn du an mir hängst.« Das ist ungerecht, verdammt ungerecht. Bykow hätte so etwas nie gesagt, wenn sie wenigstens noch einen Thermosbehälter mit Saft gehabt hätten, aber jetzt tut ihm das Gesagte nicht leid – dazu fehlt ihm die Kraft. »Hast du getrunken?«
    »Nein.« In Jurkowskis Stimme liegt eine geduldige Ruhe. Das ist nicht ihr erstes Gespräch in diesem Ton.
    »Trink zwei Schlucke, nicht mehr. Hörst du – nicht mehr!«
    »Keine Lust ...«
    Eine ungeheurliche, unverhohlene Lüge! Bykow kann kaum an sich halten. »Soo! Schön. Gehen wir.«
    Bykow steht auf, unterdrückt mit Mühe einen Schmerzensschrei. Es ist, als würde sein Körper mit glühenden Zangen zerrissen. Er öffnet den Sauerstoffhahn, zählt, gierig atmend, eilig bis zehn. Es ist das unerlässliche Quantum, andernfalls würden die Beine nicht gehorchen. Langsam erhebt er sich auf die Knie und wälzt sich Dauges schlaffen Körper auf den Rücken. Jurkowski bleibt in seiner Sanddüne sitzen.
    »Wissen Sie, Bykow, das gehört sich nicht.« Die Stimme des Geologen ist heiser, aber ruhig. »Ich bin damit nicht einverstanden.«
    Am liebsten würde Bykow ihn in Stücke reißen, doch er sagt nur mit krächzender Stimme, in der ein drohender Unterton mitschwingt: »Dummes Geschwätz ...! Aufstehen!«
    »Ich habe hier, während Sie schliefen, Ihre Karte herausgenommen.« (Bykow fasst krampfhaft nach der Tasche.) »Keine Angst, ich habe sie schon zurückgelegt. Ich habe die grundlegenden Angaben zur Geologie der Golkonda eingetragen.«
    Bykow betrachtet die zerknitterte Karte mit den ausgefransten Rändern, die zittrigen, schiefen Buchstaben, die unverständlichen Wörter ... Mit schwarzem Ruß geschrieben, es wird sich alles verwischen, verloren gehen. Unleserlich, schlecht, schmutzig ...
    »Lassen Sie uns hier. Wozu quälen Sie sich? Sie werden mit uns zusammen zugrunde gehen, und ...«
    »Wozu brauche ich dich denn? Eine ›Zunge‹ brauche ich! Steh auf ...«
    »Aber ich habe es doch aufgeschrieben!«
    »Wass soll ich mit deinem Gekrakel? Eine ›Zunge‹ brauche ich! Genug geredet, hoch mit dir ...«
    Jurkowski zögert noch.
    »Was ist los mit dir? Willst dir wohl einen Heldenkranz einheimsen ...? Den Märtyrer spielen? Daraus wird nichts! Ich werde dich vorwärtstreiben, bis ich zusammenbreche! Und wenn ich zusammenbreche, wirst du selber weiterkriechen! Verstanden? Steh auf!«
    Und Jurkowski steht auf. Ein guter Mensch, ein Prachtkerl. Einer von uns, ein Sowjetmensch – wenn auch mit Fehlern ... Nach dem fünften Kilometer schwindet der Hass in Bykow, und nach dem zehnten beginnt er ihn zu lieben wie einen Bruder. Er schweigt, der Hundesohn; kein Wort, keine Klage, dabei fallen ihm die Haare aus, die Haut ist rissig und mit eiternden Geschwüren bedeckt, das Gesicht schwärzer als der Wüstensand. Beim Gehen wankt er ... Lieber Freund, wir werden es schaffen, ganz bestimmt werden wir es schaffen. Sieh mal, zehn Kilometer haben wir schon wieder hinter uns gebracht!

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