Attentage
Gefühl begleitet eine spürbare Hilflosigkeit, die ihn lähmt. Seit einigen Jahren bemerkt er bei Kollegen diese unausgesprochene Resignation vor den immer neuen Anschlägen, die sie nicht verhindern können. Doch sich machtlos zu fühlen gibt den Tätern nur noch mehr Macht. Mit einem energischen Kopfschütteln verjagt Leconte die Gedanken und Bilder und steht auf.
Ein Maler ist damit beschäftigt, die Blutspritzer der drei Opfer an den Wänden im Innenhof zu übertünchen. Zwei schwer bewaffnete Polizisten beobachten ihn dabei gelangweilt. Sonst weist nichts darauf hin, dass etwas Ungewöhnliches vorgefallen wäre.
„So schnell haben wir Sie gar nicht aus Paris erwartet.“ Leconte zuckt kurz zusammen, als Erik Hofmeester unvermittelt hinter ihm erscheint. Purront hat ihn geholt und steht neben ihm. Leconte kennt seinen holländischen Kollegen bereits von den FISA-Treffen, wo er ihm vor allem durch seine Wortkargheit aufgefallen ist.
„Er ist problemlos durch diese strenge Kontrolle gekommen“, sagt Leconte und deutet auf die Sicherheitsschleuse am Eingang. „Es ist dieser neuartige Sprengstoff. Man kann ihn auf dem Bildschirm nicht erkennen. Zumindest nicht bei diesen Modellen“, ergänzt Erik und zieht resignierend seine Schultern hoch. Durch seine schlaksige, hochgewachsene Figur wirkt dieses Achselzucken auf eine sympathische Art schrullig „Es ist ein Wettrüsten gegen eine Terroristenarmee, die genügend Geld hat für moderne Waffen und neue Technologien.“
Leconte hört die Frustration zwischen den Zeilen und kann sie nachempfinden. Wortlos gehen sie alle gemeinsam ins obere Stockwerk, wo der Attentäter überwältigt wurde. Er wollte seine Bombe vermutlich in der Museumssynagoge zünden. An manchen Tagen sind hier über hundert Besucher aus aller Welt, die sich für die Geschichte der Diaspora interessieren.
Viele Juden waren vor den Nazis nach Amsterdam geflüchtet, bis sie auch in Holland grausam verfolgt wurden, nachdem die Nationalsozialisten einmarschiert waren. Fast 70 Jahre später ist es nun ein Moslem, den sein abgrundtiefer Hass gegen die Juden und den Westen zum Morden treibt. Drei Menschen sind zur falschen Zeit am falschen Ortund müssen deswegen sterben. Purront merkt, wie nahe ihm die Ereignisse der letzten Stunden gehen, und er hasst sich dafür, dass er mit den Tränen kämpfen muss.
Offenbar hat ihn die Nachricht von Nicoles Schwangerschaft noch empfindlicher gemacht. Im Hotel hat er kurz mit ihr telefoniert und sie haben erste Pläne geschmiedet. Die Schwangerschaft war zwar nicht geplant, aber jetzt, wo das Kind unterwegs ist, sind alle seine Bedenken wie weggeblasen. Es ist ein neuer Anfang für ihre Ehe.
„Sie wollten mit diesem Attentat sicherlich die Nachricht vermitteln, dass auch die westlichen Freunde Israels ihre Todfeinde sind“, sagt Purront zu Leconte.
„Ich denke, das wird unser Zeuge alles erklären können und wollen.“
„Unser Zeuge?“ Purront ist in Gedanken noch bei Nicole und versteht nicht sofort.
„Der Attentäter!“ Leconte ist schlagartig wieder ungeduldig. „Wir werden versuchen, ihn zum Reden zu bringen.“
„Spezialbehandlung?“
Purront weiß, dass Verdächtige in einigen Fällen mit Schlafentzug und Dauerverhör zum Reden gebracht werden. Das ist offiziell nicht erlaubt. Doch einige Verhörspezialisten der Geheimdienste überschreiten diese gesetzlichen Grenzen und prügeln die Gefangenen sogar. Sie verwenden dafür Gummiknüppel und schlagen auf Stellen, wo keine verräterischen blauen Flecken entstehen.
Oft geht es ihnen dabei gar nicht mehr um Informationen. Sie haben die Fotos der Opfer oder sogar die entstellten Leichen gesehen und diese Bilder haben sich in ihre Gehirne gebrannt. Es verschafft ihnen kurzfristig Erleichterung, auf die Verursacher einzuschlagen und sie zu quälen. Siekönnen dem inneren Druck nicht mehr standhalten und die Aggression bricht ungehindert und zerstörerisch hervor.
Man hatte Purront von einem Kollegen in London berichtet, der nachts maskiert in die Zelle eines Mannes gegangen war, der für den Tod einiger junger Mädchen bei einem Anschlag in einer Disco mitverantwortlich war – er hatte den Sprengstoff besorgt. Er hatte den Mann halbtot geschlagen und ihn bei jedem Hieb als perversen und kranken Spinner verflucht. Natürlich war alles von der Überwachungskamera aufgezeichnet worden und er konnte problemlos trotz der Gesichtsmaske anhand seiner Stimme identifiziert werden. Wahrscheinlich hatte
Weitere Kostenlose Bücher