Attentage
Kopf, die mit Blut verkrustet war. Sie hatten offensichtlich nicht einmal einen Arzt zu ihm gelassen, um die Platzwunde zu versorgen.
Seltsamerweise hat man ihn bis jetzt auch nicht verhört, sondern ihm nur wortlos Essen in einem tiefen Plastikteller hingestellt, das er nicht angerührt hat. Es ist ihm nicht schwergefallen. Durch die heftigen Kopfschmerzen war ihm übel und der Eintopf hatte nach Schwein gestunken, das der Prophet für unrein erklärt hatte.
Im Trainingslager im Jemen hatte er einmal den Grund für dieses Speiseverbot wissen wollen. Der Imam hatte die Stirn gerunzelt und gefragt, ob er die Anweisungen des erhabenen Propheten für unsinnig halte. Ahmed hatte das sofortentschieden verneint. Er hatte danach nicht mehr gewagt, nach der Bedeutung der Geschichte zu fragen, in der ein Wildschwein den Propheten abwirft. Sicherlich war dies nicht der Grund für dieses Gebot.
Der Imam war durch seine erschrockene Verneinung besänftigt gewesen und hatte ihm erklärt, dass ein Schwein das Fleisch seiner Artgenossen fresse und ein schamloses Tier mit einem ausschweifenden Sexualleben und Neigung zur Homosexualität sei. Ahmed hatte verständnisvoll genickt und durch seine Mimik zu verstehen gegeben, wie sehr ihn dies anwidere.
Sein Wächter reagiert nicht auf Fragen nach der Uhrzeit. Als ob er stumm und taub wäre. Sie werden in der Ewigkeit von Allah dafür schrecklich bestraft werden. Ungläubige müssen in der Hölle Speisen essen, die in ihren Bäuchen wie geschmolzenes Metall kochen. Ihre Haut wächst dauernd wieder nach, während ihre Kleider aus Feuer sie immer wieder unter schrecklichen Schmerzen versengen. Wie viel mehr werden jene leiden müssen, die einen Kämpfer Gottes so verächtlich behandelt haben.
Es ist trotzdem seltsam, dass niemand etwas von ihm wissen will. Obwohl er natürlich kein Wort sagen wird. Auf jede Frage wird er einfach nur mit „Allahu akbar“ antworten. Das hat sich Ahmed fest vorgenommen.
Obwohl die Gefängniszelle keine Fenster hat, weiß er, dass zumindest ein Tag vergangen ist, denn sie haben ihm Frühstück gebracht. Den Tee hat er getrunken. Es war nicht einmal annähend ein Cay der Qualität, wie er ihn sonst mit seinen muslimischen Freunden trinkt, aber der Geschmack beruhigte ihn dennoch etwas.
Die Tasse ist auch aus Plastik. Es gibt keine Möglichkeit, sie zu zerbrechen, um die Scherben zu verschlucken oder sich damit die Pulsadern aufzuschneiden. Sie haben an alles gedacht. Kein Besteck und auch keine Leintücher, aus denen er sich ein Seil zum Erhängen drehen könnte. Ahmed versucht sich tröstende Worte aus dem Koran ins Gedächtnis zu rufen. Wie schrecklich muss es erst dem Propheten ergangen sein, als er aus Mekka fliehen musste.
Die täglichen fünf Gebetszeiten teilt sich Ahmed nach Gefühl ein. Er ist gerade beim Nachmittagsgebet, als die Zellentür aufgeschlossen wird. Nun muss er von neuem beginnen, denn eine Unterbrechung ist nicht gestattet. Der hochgewachsene Fremde sieht beim Eintreten auf ihn herab. Kurz überlegt Ahmed, ihm die Füße wegzureißen, sich auf ihn zu stürzen und ihn zu würgen. Auf dem Gang vor der Zelle steht ein bewaffneter Soldat, der ihn sicherlich erschießen würde. Dann wäre ihm doch noch ein ehrenvoller Märtyrertod gewährt.
„Salem aleikum!“, sagt Bruno entschuldigend, „ich wusste nicht, dass Sie jetzt Ihr Gebet verrichten. Es ist eine Stunde nach dem Sonnenuntergangsgebet.“
Ahmed ist über Brunos Wissen verblüfft und rechtfertigt sich: „Ich weiß nicht, wie spät es ist. Man hat mir mein Handy weggenommen“, doch seine Beschwerde kommt ihm sofort kindisch vor. Hat er nicht beschlossen, nur mit „Allahu akbar“ zu antworten?!
„Ich werde dafür sorgen, dass Sie an die Gebetszeiten pünktlich erinnert werden und einen Koran bekommen“, sagt Bruno.
Ahmed antwortet nichts mehr. Dieser Fremde versucht also, sein Vertrauen zu gewinnen, damit er später seine Brüderverrät. Lächerlich. Dennoch freut er sich über die Möglichkeit, im heiligen Buch lesen und die Gebetszeiten einhalten zu können. „Allahu akbar“, sagt er betont emotionslos.
Jetzt erst bemerkt er, dass sein Besucher eine Zeitung in der Hand hält. Es ist die holländische Zeitung „De Telegraaf“. Auf der Titelseite prangt ein Foto vom Innenhof des Museums, auf dem große Blutlachen – neben jeder ein Täfelchen mit einer Nummer – zu sehen sind. Auf einem anderen Foto erkennt Ahmed Särge und darüber drei kleine Fotos mit
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