Attentage
Kreuzen. Er ist also erfolgreich gewesen und hat Menschen getötet. Es sind zwar keine Juden unter den Opfern, aber zumindest waren alle Christen.
Der Fremde reicht ihm die Zeitung. Ahmed nimmt sie wortlos entgegen, starrt auf die Bilder und die für ihn unverständlichen Worte. Bruno deutet seinen Blick richtig und er übersetzt die Schlagzeile „Selbstmordattentäter tötet drei unschuldige Menschen“ für ihn auf Arabisch, wobei er keine Miene verzieht. Ahmed ärgert es, dass Bruno nun weiß, dass er kein Holländisch kann. Seine Freude über die Nachricht versucht er gar nicht zu verbergen.
„Und darunter steht:,Der tote Attentäter konnte noch nicht identifiziert werden. Die al-Qaida hat sich jedoch zu dem Anschlag bekannt‘“, fährt Bruno ruhig fort.
Ahmeds ist verwirrt. Wieso schreiben sie über ihn als toten Attentäter? Freundlich sagt Bruno – auf das Du-Wort wechselnd – zu Ahmed: „Du bist tot.“
Nach einer knappen Minute begreift Ahmed die Bedeutung dieser Worte und er springt Bruno von der Pritsche aus unvermittelt mit einem verzweifelten Knurren an, das sich mit dem Rasseln der langen Eisenkette vermischt. Es klingt wie der Angriff eines Kettenhunds.
Ein fürchterlicher Schlag durchzuckt daraufhin Ahmeds gesamten Körper und er verliert zum zweiten Mal das Bewusstsein.
Als er aufwacht, liegt er auf dem Rücken und ist mit Lederriemen über Brust und Oberschenkel an die Pritsche fixiert. Sein Besucher sitzt ihm gegenüber auf einem Schemel und beobachtet ihn ruhig. „Es tut mir leid, dass der Wärter sofort mit seinem Taser gefeuert hat“, sagt Bruno freundlich, „aber er hat seine Befehle.“ Ahmed schließt die Augen. Sein Kopf ist am Zerspringen und sein linker Knöchel schmerzt höllisch.
„Ich komme morgen wieder“, sagt Bruno, „und dann werden wir weiterreden.“ Er klingt sicher, aber nicht überheblich. Ahmed öffnet die Augen auch nicht, als die Zellentür hinter seinem Besucher wieder verriegelt wird. Er wünscht sich sehnlichst, tot zu sein und nicht in den Händen dieser Ungläubigen, die der Prophet mit Recht als die schlechtesten aller Geschöpfe bezeichnet hat.
SAMSTAG, 10. MÄRZ, 20.10 UHR | AMSTERDAM, HAFEN
Purront starrt abwechselnd auf die Leinwand und die 25 Teilnehmer der FISA-Gruppe. Der Sessel am Kopfende des langen, ovalen Sitzungstisches aus edlem Mahagoniholz wurde bewusst frei gelassen, da am Ende des Treffens ein neuer Vorsitzender für die nächste Periode bestimmt wird.
Der Konferenzraum befindet sich im obersten Stockwerk des Büroturms der Schifffahrtsbehörde in der Piet Heinkade nahe der Amsterdamer Werft. Man hat von hier einen herrlichen Blick auf den Hafen mit seinen historischen Binnenschiffen und auf das Markermeer. Momentan sehen aber alle wie gebannt auf den auf die Leinwand projizierten Text.
„Wenn diese E-Mail-Nachrichten als Warnung vor den Attentaten gedacht waren, dann hat man es uns nicht leicht gemacht“, sagt Heather. Die hochgewachsene Mitvierzigerin von der britischen Antiterroreinheit wurde letztes Jahr als Vorsitzende gewählt. Nach den FISA-Regeln wird sie daher die Stellvertreterin des neuen Leiters werden.
Bei der Konferenz wird nur englisch gesprochen und es überrascht Purront, dass der projizierte Text auch in Deutsch und Französisch zu lesen ist. Sicherlich freut das Leconte besonders, der ihm im Flugzeug erzählt hat, dass die Mail-Nachrichten in blumiger arabischer Sprache verfasst wurden. Geschickt wurden sie an vier europäische Botschaften im Jemen – von zwei Internetcafés in der Hauptstadt Sanaa aus. Die niederländische und die deutsche Botschaft hatten sie offenbar ungelesen abgelegt. Die französische und dieenglische Botschaft hatten sich die Mühe einer Übersetzung gemacht, um die Nachricht dann erst recht zu ignorieren. Wobei ignorieren bedeutete, die Information ohne jeglichen Prioritätsvermerk gemeinsam mit vielen unbedeutenden Routineberichten an das Büro des jeweiligen Geheimdienstes zu senden. Vermutlich wurde das E-Mail nicht einmal diskutiert, sondern stillschweigend von einem Sachbearbeiter in einem Ordner abgelegt. Es war aber auch keine Nachricht, mit der man auf Anhieb etwas anfangen konnte, und sie war nicht im üblichen drohenden Stil der al-Qaida formuliert.
„Am 9. März wird die Nabelschnur zwischen der königlichen Insel und Europas Stadt der Sünde zerrissen werden. Am selben Tag werden Isaaks Kinder in Europas Stadt der Drogen in ihrem Tempel trauern.“
Der Finne Jarrko,
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