Attentage
Hani ihn deswegen zur Rede gestellt, aber im letzten Moment hatte er sich auf seinen Auftrag besonnen. „Du musst völlig unauffällig leben“, hatten ihm die Brüder eingeschärft, „und du darfst niemals eine Moschee besuchen. Du darfst die Gebetszeiten nicht einhalten, wenn man es beobachten kann, und du darfst dich in deinem Aussehen von den Gottlosen nicht unterscheiden.“
Zuerst hatte dies in Hani großen Widerwillen hervorgerufen, aber die Brüder erinnerten ihn an die Takiya. Diese Sonderregelung erlaubt, bei Gefahr die rituellen Pflichten zu missachten und den eigenen Glauben zu verheimlichen, solange man innerlich daran festhält. Sogar das Lügen ist gestattet, wenn es der einzige Weg ist, um das Wohl des Islamvoranzutreiben. Mohammed hat dies zur Versöhnung der Menschen und zwischen Ehepartnern und im Krieg erlaubt. Jeder Muslim ist ein Soldat mit der Aufgabe, die Religion Allahs auf der ganzen Welt an die Macht zu bringen. Viele hatten das – so wie Mister Kostaly – nicht begriffen und sich dem System des Satans angepasst, statt die Menschen durch das Licht des Korans zu erleuchten.
Anfangs denkt Hani, es wird nur einige Monate dauern, bis er zum Einsatz kommt. Jede zweite Woche besucht ihn Satam, der sich immer einige Tage vorher telefonisch ankündigt. Sie trinken in Hanis kleinem Apartment zusammen Tee, lesen im Koran und Hani wird ermahnt, auf dem rechten Weg zu bleiben. Es scheint Satam kurz zu beunruhigen, dass sich Hani von seinem Ersparten einen Fernseher mit Flachbildschirm gekauft hat, der nun den kleinen Raum dominiert. Es ist eine willkommene Abwechslung für ihn, wenn er spätabends müde nach Hause kommt, noch fernzusehen. Er kann auch Jemen TV mit den Freitagspredigten von Ahmad al-Rasum aus der großen Moschee in Saana empfangen. Manchmal hat er jedoch schon länger bei Bildern verweilt, die Allah ein Gräuel sind, und war danach davon angewidert. Das erzählt er Satam aber nicht, sondern er erwähnt nur die religiösen Programme. Hani weiß jedoch, dass sein Märtyrertum alle seine Sünden auslöschen wird. Dieser Gedanke lässt ihn nach einer „Befleckung“ ruhig schlafen.
Die Erinnerung an die militärische Ausbildung im Wüstenlager verblasst täglich etwas mehr und manchmal kommt ihm diese Zeit wie ein verschwommener Traum vor. Täglich fühlt er den Sog des geschäftigen Treibens in London um sich, an dem er teilnimmt, ohnewirklich dazuzugehören. Es ist, als ob er bei einer Theateraufführung mitwirkt, ohne wirklich zum Ensemble zu gehören. Hani will nicht mehr von diesem Stück wissen, als nötig ist, damit er seine Gastrolle passabel spielen kann.
Seit einigen Monaten hänselt ihn der älteste Kollege, Ramzi, der abends zur Stoßzeit hilft, die Teigböden zu belegen. Nach einigen Gesprächen vermutet er, dass Hani trotz seiner 24 Jahre noch nie mit einem Mädchen geschlafen hat. Und so weist er ihn nun regelmäßig auf hübsche Kundinnen hin. Das macht Hani sehr verlegen und bei manchen Bemerkungen Ramzis errötet er bis zu seinem dichten Haaransatz. Hani ist ein attraktiver junger Mann mit kantigen Gesichtszügen, die ihn auf seltsame Weise sowohl stolz als auch freundlich wirken lassen. Die Blicke junger Mädchen verweilen oft abschätzend länger auf seinen muskulösen Armen und seinem kräftigen Oberkörper. Wenn Ramzi dies beobachtet, sind seine Bemerkungen später besonders spöttisch. Doch in den letzten Tagen ist es Hani gelungen, nicht mehr zu erröten und die Anspielungen auf sein Sexualleben einfach zu ignorieren, indem er sich die Auswirkungen der Bombe vorstellt, die er eines Tages in London zünden wird. Wenn diese Bilder in seinem Kopf sind, prallen die dreckigen Witze an ihm ab.
In Gesprächen hat er mitbekommen, dass sein Chef und alle muslimischen Kollegen solche Attentate energisch verurteilen. Aber auch sie sind für den Krieg und die Zerstörung Israels. Hani vermutet, dass sie einfach nur noch nicht verstanden haben, dass überall dort, wo der Islam noch nicht herrscht, für einen wahren Moslem Kriegsgebiet ist. Es macht keinen Unterschied, ob die Bombe in einer Einkaufsstraße in Haifa oder am Trafalgar Square in der Londoner Innenstadt gezündet wird. Der Jihad muss überall mit aller Härte geführt werden.
Hani wirft den Teigklumpen für eine Salamipizza in die Höhe. Ihm fällt währenddessen ein, dass er gelesen hat, dass sogar Äpfel mit Schweinefett aufpoliert werden. Er wird in Zukunft sein Obst noch gründlicher waschen. Als er
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