Attentage
Allah so wunderbar ist, dann weiß ich nicht, warum er zulässt, dass ihr euch gegenseitig umbringt“, sagt Leconte plötzlich in Französisch zu Ahmed, „aber das habt ihr ja auch acht Jahre im Iran-Irak-Krieg täglich getan.“
Ahmed versteht natürlich kein Wort.
„Sein französischer Pass ist eine gute Fälschung“, erklärt Bruno und fährt dann ansatzlos fort, ohne seine Augen von Ahmed zu wenden, der sie mit unverhohlenem Hass anstarrt: „Auch Christen in Irland haben sich gegenseitig umgebracht, und bei den Kreuzzügen waren sie ebenfalls nicht gerade zimperlich mit Andersgläubigen.“
Ahmed fixiert die drei ungebetenen Besucher weiterhin abwechselnd mit zornigen Blicken. Bruno drückt Leconte und Purront sanft aus der Zelle. Die Fotos lässt er liegen. Als sie außer Hörweite sind, sagt er zu den Wachebeamten: „Ich will morgen alle Aufnahmen der Überwachungskamera in der Zelle sehen.“
Als sie das Haus verlassen, sagt Leconte zu Bruno: „Das ist also Ihre geniale Verhörstrategie. Verbünde dich mit Mördern.“ Es ist mehr eine Frage als eine Feststellung.
„Das stimmt zum Teil“, antwortet Bruno, „aber wenn Sie sich auf meinen Satz über Christen und Kreuzzüge beziehen, muss ich Sie enttäuschen. Das meine ich genau so, wie ich es gesagt habe.“
Man sieht Leconte an, dass er noch etwas Unfreundliches sagen will, sich dann aber dagegen entscheidet. Während der Fahrt zum Hotel ist er ziemlich einsilbig. Auf halber Strecke erwähnt Purront wie nebenbei, dass Ahmed seiner Meinungnach auf das Foto von Hassan sehr geschockt reagiert hat. „Wenn ich eine Stunde mit dem Kerl allein wäre, dann wäre er wirklich geschockt und wir hätten es schriftlich, dass er ihn kennt“, knurrt Leconte.
Purront ist froh, dass auf der Rückfahrt kein Betrunkener vor ihnen auf die Straße stolpert. Ein untrügerisches Gefühl sagt ihm, dass ihn der Commissaire diesmal nicht ungeschoren davonkommen ließe.
SONNTAG, 11. MÄRZ, 12.50 UHR | LONDON, CAMDEN MARKET
Hani wirft den Teigball flink und geschickt hin und her. Als dieser sich auf einen Durchmesser von 15 Zentimetern gedehnt hat, lässt Hani den Pizzateig im Uhrzeigersinn auf den Fingerspitzen kreisen. Dann wirft er ihn in die Höhe, um im Fallen den Teig blitzschnell noch etwas zu ziehen, bis er am Ende als kreisrunder und dünner Boden vor ihm auf der mit Mehl bestäubten Arbeitsfläche liegt.
Als Hani vor knapp zwei Jahren im Londoner Camden Market als Hilfskoch begonnen hat, starrte er noch bewundernd auf die artistische Performance des italienischen Kochs. Schon am ersten Tag musste er aber selbst völlig unvorbereitet für das Personal in der Mittagspause seinen ersten Teigklumpen zu Pizzaböden formen. Da es eine Anordnung des Chefs war, hielten sich die Proteste der Kollegen beim Essen über die viel zu dicken und unförmigen Gebilde in Grenzen. Am nächsten Tag waren seine Pizzaböden etwas dünner und runder, aber die Kommentare bereits wesentlich mürrischer und aggressiver.
Zwei Monate später sind Hanis Pizzen perfekt und der italienische Koch Ricardo wird gekündigt. Hani begreift, dass es von Anfang an geplant gewesen ist, den teuren Pizzakoch durch Hanis billige Arbeitskraft zu ersetzen. Mister Kosaly, der Besitzer des Lokals, stammt wie die meisten Mitarbeiter aus dem Iran, aber in London scheint es für niemanden ein Problem zu sein, dass so gut wie keine Pizzeria vonItalienern betrieben wird. Mister Kostaly hatte Ricardo nur angestellt, um durch ihn an die Zusammensetzung für einen perfekten Teig zu kommen, der letztendlich für den Erfolg einer Pizzeria entscheidend ist. Wie alle wirklich guten Pizzaköche hielt Ricardo seine Mischung geheim. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis es Mister Kostaly gelungen war, die genaue Rezeptur herauszufinden.
Hani ist mit seiner Arbeit zufrieden. Er formt den Teig fertig, belegt ihn, schiebt die Pizza in den heißen Steinofen und holt sie rechtzeitig wieder heraus. Die Monotonie seiner Tätigkeit erlaubt es ihm, wichtigeren Gedanken nachzuhängen. Es stört ihn nur, dass er die Pizzaböden oft mit Schweinefleisch belegen muss. Manchmal wischt er sich den Schweiß von der Stirn, nachdem er Salami und Schinken berührt hat und der unreine Geruch auf seiner Haut ekelt ihn. Seine Kollegen, die wie er Muslime sind, scheint das nicht im Geringsten zu stören. Einmal hat Hani sogar gesehen, wie Mister Kostaly eine Pizza mit Schinken gegessen hat, die zu viel bestellt worden war. Fast hätte
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