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Attentage

Attentage

Titel: Attentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartl
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freizügig gekleideten Frauen, die ihm entgegenströmen, hat er den Eindruck, sich in einem Traum zu befinden.
    Die seltsame Kostümierung des Mannes verstärkt den surrealen Eindruck. Auch die weiße Schminke kann nicht kaschieren, wie lustlos und mechanisch dieser seine Werbung austeilt. Als ihm ein schwitzender, dickleibiger Mann eine Frage stellt, wird klar, dass der Kostümierte weder Deutsch noch Englisch spricht. Kurz versuchen die beiden zu kommunizieren, dann geht der Tourist ärgerlich den Kopf schüttelnd weiter.
    Abdul ist froh, dass es in Österreich arbeitende Ausländer gibt, die kein Deutsch sprechen. Bei der Passkontrolle hat er bemerkt, dass die wenigen erlernten deutschen Wörter das Gegenüber nur dazu bringen, schneller für ihn Unverständliches zu reden. Doch der Beamte hat am Ende keinen Zweifel, dass Abdul in Österreich Verwandte besuchen wird. Die fiktive Wohnadresse auf einem Brief, die offiziellen Einladungen und die Bürgschaft eines Österreichers fürseinen Aufenthalt sind überzeugend. Die Bruderschaft hat alles perfekt organisiert und er ist stolz darauf, ihr anzugehören. Obwohl er natürlich jetzt noch viel mehr ist – die Speerspitze des Kampfes.
    Abduls Pass wird zur Kontrolle gescannt. Er bleibt entspannt, obwohl er darin Marwan Jahra heißt. Said hat ihm versichert, dass das Reisedokument keine plumpe Fälschung ist, sondern durch Beziehungen ins Ministerium ganz legal ausgestellt wurde. An den neuen Namen hat er sich nicht sofort gewöhnt. Er ist Abdul so fremd, dass er zuerst befürchtet hat, jedermann würde sofort erkennen, dass der Name nicht zu ihm passt. Später wird man diesen Namen wohl vergeblich zurückverfolgen und entdecken, dass alle Einladungen angeblicher Verwandter und die Bürgschaft Fälschungen sind.
    „Es darf keine Spur geben, die sie zu uns oder deiner Familie zurückverfolgen können“, hat ihm Fayez erklärt. Fast 1.000 Soldaten sind offiziell im Jemen, aber man erzählt sich, dass es auch inoffizielle Killerkommandos gibt, die für die USA tätig sind. Dafür rekrutieren die Geheimdienste auch Einheimische, die ihre dreckige Arbeit ausführen. Meistens sind das Kriminelle, die von der Bevölkerung verachtet werden und nichts mehr zu verlieren haben. Abdul erschaudert bei dem Gedanken, was diese Bastarde seiner Familie antun könnten. Und er fühlt in seinem Herzen tiefe Dankbarkeit gegenüber den Brüdern, die um die Seinen so besorgt sind, als ob es ihre eigene Mutter und ihre eigenen Schwestern wären.
    Sein Gesicht ist noch immer von der unbarmherzigen Wüstensonne verbrannt, obwohl er die letzten Tage das Zelt so gut wie nie verlassen hat, um sich in Ruhe betend und studierend auf seinen Auftrag vorzubereiten. Alles musstebis ins Detail geplant werden, damit er so weit wie möglich eigenständig agieren kann.
    Vom Flughafen wird er nicht abgeholt, da dort Kameras rund um die Uhr das Geschehen in den Hallen und vor dem Gebäude aufzeichnen. Angeblich werde das Material nach 24 Stunden aus Datenschutzgründen gelöscht, aber tatsächlich hätten auch ausländische Geheimdienste noch Wochen später darauf Zugriff, hatte ihm Said erklärt. „Dieses Land hat seine Seele schon lange an die Amerikaner verkauft“, waren seine verächtlichen Worte.
    Er hat keine Telefonnummer in Wien, die er kontaktieren kann. Alles, was Abdul besitzt, ist eine Adresse, an der er auf Anweisungen warten muss. Er hat sie auswendig gelernt und nirgends notiert. Nicht einmal seinen Koran darf er mitnehmen, um bei der Einreise nicht zu riskieren, verdächtig zu wirken. „Das heilige Buch wartet in deinem Zimmer auf dich“, hat ihm Said erklärt, als er ihm beim Abschied den neuen Pass gegeben und ihn wie aus einem spontanen Impuls heraus in einer väterlichen Umarmung fest an sich gedrückt hat. Es ist ein erhabener Moment und Abdul fühlt tief in seinem Inneren eine ungewöhnliche Stärke. Es verwundert ihn nicht. Allah gibt denen Kraft, die seinem Willen gehorsam sind.
    Eine Staubwolke aus fahlem Wüstensand versperrte ihm den Blick zurück ins Lager, als er mit Ziad im Jeep am frühen Morgen das Lager verließ. Abdul hatte das Gefühl, als ob eine Decke über ihn fallen würde. Er wollte nicht zurückblicken, denn er würde nie mehr hierher zurückkehren. Auf der Ablage des Armaturenbretts lag sein Flugticket. Abdul lächelte, als er sah, dass sie ihm – entweder zur Tarnung oder aufgrund der Visabestimmungen – auch einen Rückfluggebucht hatten. In einem

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