Attentage
gerade beginnt, den Teig auf seinen Fingerspitzen rotieren zu lassen, reißt ihn Ramzi aus seinen Gedanken.
„Soll ich deiner Süßen am Handy für dich antworten?“, fragt er spöttisch und hält Hanis Handy an sein Ohr. Hani hat gar nicht bemerkt, dass es läutet. Er lässt den Teig als unförmigen Klumpen auf das Brett vor ihm fallen und greift in einer zornigen Bewegung nach dem Telefon. Außer seinem Chef gibt es nur einen einzigen Menschen, der diese Nummer kennt.
Das Gespräch verläuft diesmal einsilbiger als sonst. „Morgen Abend bei dir“, sagt Satam zur Begrüßung. Hani ist verunsichert, denn normalerweise kündigt Satam ja seine Besuche einige Tage im Voraus an. „Morgen schon?“, fragt er verwundert. „Ja“, erwidert Satam und Hani merkt ihm den Ärger darüber an, dass er gegen die Regel den Zeitpunkt des Treffens für alle hörbar wiederholt hat. „Es ist sehr wichtig.“ Bevor Hani noch etwas sagen kann, hat Satam aufgelegt. Um das Gesicht vor Ramzi zu bewahren, sagt Hani noch: „Ich freue mich, dass wir uns nach so langer Zeit wieder einmal treffen“, obwohl niemand mehr in der Leitung ist.
Ramzi beobachtet ihn aus den Augenwinkeln, während er einen Pizzaboden mit Thunfisch belegt. Hani weiß instinktiv, dass er morgen seinen Auftrag bekommen wird. Er ist nervös. Hat Ramzi seine innere Aufgewühltheit bemerkt? Der wendet sich plötzlich zu ihm und fixiert ihn: „Hani“, sagt er ernst und scheint kurz über die richtige Formulierung nachzudenken, „bist du am Ende schwul?“
Hani ist erleichtert über diese törichte Frage und lächelt überheblich. Er nimmt den Teigklumpen wieder auf. „Nein“, sagt er dann – mit einer für ihn ungewöhnlich festen Stimme, die keinen Widerspruch duldet –, „ganz im Gegenteil.“
MONTAG, 12. MÄRZ, 4.30 UHR | AMSTERDAM, GRACHTENGÜRTEL
Die Rozengracht in Amsterdam ist menschenleer, als Heather und Leconte das „In de Wildeman“ frühmorgens verlassen. Von englischer Kühle ist bei der Britin nichts zu bemerken und der Commissaire lacht einige Male lauthals auf. Sie hat sich wie selbstverständlich bei ihm eingehakt und seine schon etwas unsicheren Schritte verraten, dass er für seine Verhältnisse zu tief ins Glas geschaut hat.
Die Neonreklamen der Lokale spiegeln sich in den Grachten und ein frischer Morgenwind bringt den Geruch des Markermeers, vermischt mit dem Duft frischen Kaffees. Als sie sich dem Rotlichtviertel De Wallen nähern, verschwindet eine Prostituierte beim Anblick des Liebespärchens in einem Haus, aus dessen beiden oberen Fenstern rotes Licht fällt. Als Leconte und Heather am Haus vorbeischlendern, gehen dort die Lichter aus.
„Feierabend“, sagt Leconte, „die Nacht ist für diese Dame gelaufen.“ „Unsere beginnt erst“, kichert Heather und schmiegt sich an ihn. Sie weiß, dass sie sich morgen für ihre Albernheit schämen wird, aber das ist ihr egal.
Eigentlich wollte sie nach den anstrengenden Gesprächen nur noch mit einigen Kollegen auf einen kurzen Drink zur Entspannung in die Hotelbar mitgehen. Aber das leere Hotelzimmer hat keinerlei Anziehungskraft, während Leconte an diesem Abend amüsant und geistreich ist. Sicherlich hat ihn seine Wahl zum Vorsitzenden für die nächste Periode beflügelt. Macht und Charisma sind Zwillinge. Heather mussals seine Stellvertreterin eng mit ihm zusammenarbeiten, um die Arbeit zu koordinieren.
Einer nach dem anderen verlässt die Runde und sie merkt, dass Leconte überlegt, ebenfalls zu gehen, als sein Assistent Purront mehrfach demonstrativ gähnt, um sich dann zu verabschieden. Mit dem untrüglichen Instinkt einer Frau weiß Heather, dass Lecontes Bleiben eine Entscheidung für sie ist. Es ist ihr nicht entgangen, dass er sie mehrmals heimlich gemustert hat. Einmal hat sie ihn beim Blick in den großen Spiegel über der Bar dabei erwischt, wie er ihren Po im engen halblangen Rock taxiert hat. Als er bemerkt, dass sie ihn ertappt hat, scheint er deswegen aber nicht verlegen. Das gefällt Heather. Sie mag keine Männer, die sich wie Weichlinge benehmen.
Als nur mehr sie beide an der Bar sitzen, verabschiedet sie sich von ihm mit der Bemerkung, dass sie noch einen kleinen Nachtspaziergang unternehme. Leconte bietet ihr sofort an, sie zu begleiten. Sie kokettiert noch etwas mit seinem Interesse an ihr: „Ich bin ein großes Mädchen und brauche keinen Beschützer.“ Als sie sein enttäuschtes Gesicht sieht, fügt sie schnell hinzu: „Aber ein charmanter
Weitere Kostenlose Bücher