Attentage
Briefumschlag lagen einige Euro-Geldscheine in verschiedenen Farben. Abdul machte sich nicht die Mühe, die Höhe der Summe festzustellen. Es würde sicherlich für seine Ausgaben bis zum Attentat reichen.
Kurz dachte er über das Gespräch mit Said nach, das sich um sein Begräbnis gedreht hatte. Abdul wünschte sich ein muslimisches Begräbnis im Jemen. „Wir werden versuchen, deinen Leichnam aus Wien holen zu lassen“, war ihm versichert worden, „aber das wird sehr schwierig werden.“ Lange hatten sie noch darüber geredet, dass der Leib nur eine äußere Hülle ist und er selbst mit seinem neuen Körper sofort im Paradies sein wird. Wird er dann so alt sein wie bei seinem Tod? Und wie ist das eigentlich für andere, die erst als alte Männer und Frauen sterben? Einiges war für Abdul verwirrend, aber er gab sich damit zufrieden, dass man Allahs Wege nie völlig verstehen kann und dass er als Mujahid auf jeden Fall eine Sonderstellung besitzt. Said al-Mutallab hatte ihm das mit Ehrfurcht erklärt und ihn dabei sonderbar angesehen, als ob er selbst nicht begreifen könne, warum Abdul bereit war, sein junges Leben für Allah zu opfern.
Vor dem Flughafen in Sanaa hielt Ziad auf einem etwas versteckten Parkplatz und Abdul musste sich saubere westliche Kleidung anziehen: eine sandfarbene Anzughose, ein blaues Poloshirt und schwarze Halbschuhe. Sein Gepäck aus dem Rucksack wurde in einen kleinen Hartschalenkoffer umgeschichtet. Er bemerkte, dass der Fahrer genau beobachtete, was er eingepackt hatte. Abdul ärgerte sich über dieses Misstrauen. Ein Gotteskämpfer gibt alles, was er hat, und es gibt für ihn keinen Grund, irgendwelche Kompromisse einzugehen und damit die Aktion in Gefahr zu bringen. Im Lagerfeuer hatte er am Vorabend sämtliche Briefe undFotos verbrannt. Es gab absolut nichts, das nach der Tat seine Identität verraten konnte.
Im Flugzeug saß er neben einem jungen Jemeniten, der nach Wien flog, um Meeresbiologie zu studieren. Das kam Abdul seltsam vor. Österreich grenze doch an kein Meer. Mit dieser Frage öffnete er eine Schleuse, denn Ali erzählte ihm nun ohne Punkt und Komma von einem Hans Hass, der als österreichischer Tauchpionier und Meeresbiologe weltberühmt sei. Wenigstens vergaß er bei seinem Mitteilungsbedürfnis völlig, Abdul nach dem Sinn seiner Reise zu fragen. Den Rest des Fluges verschlief Ali, der eine lange Anreise aus dem Gebirge Jabla Haram im Norden des Jemen hinter sich hatte.
Abdul verlässt die Ankunftshalle des Wiener Flughafens und besteigt das vorderste Taxi in der langen Reihe. Er nennt dem korpulenten Fahrer die Adresse und dieser gibt sie umständlich in das Navigationssystem ein. Ungefragt beginnt er, Abdul auf der Fahrt in gebrochenem Englisch von seiner Frau, den drei Kindern und den harten Arbeitsbedingungen durch die Nachtschichten zu erzählen. Kamir stammt aus Anatolien, trägt einen riesigen Schnauzbart und lebt seit 15 Jahren in Wien. Kurz will er Abdul auch erzählen, wie er hier am besten bei den Frauen ankommt, aber dessen unwirscher Blick lässt ihn mitten im Satz verstummen.
Die etwas feindselige Stimmung während der Fahrt ist Abdul unangenehm und zur Auflockerung fragt er Kamir, ob er auch Moslem ist. Abdul bereut die Frage schon, während er sie stellt. „Alle Türken sind Muslime“, sagt der Fahrer, und man merkt, dass er nun kein Wort mehr mit Abdul reden will. Als sie an der Adresse in der Linken Wienzeile halten,durchfährt es Abdul siedend heiß, dass es nun einen Zeugen gibt, der weiß, wo er wohnt und dem er womöglich verdächtig vorgekommen ist.
„Das ist das falsche Haus“, sagt er unsicher und nennt eine höhere Hausnummer. Kamir diskutiert nicht, ob er falsch verstanden oder eine falsche Information bekommen hat, sondern fährt wortlos weiter bis zu der neuen Adresse, an der sich eine Tankstelle befindet. „Hier?“, fragt er verwundert. Abdul bemerkt, dass ihm Schweißtropfen auf seiner Stirn stehen. Er bejaht und ignoriert die skeptischen Blicke des Fahrers. Kurz überlegt er beim Bezahlen, ihm ein sehr großzügiges Trinkgeld zu geben, aber damit könnte er noch mehr Verdacht erregen. Er steigt aus und spaziert mit seinem Koffer, ohne sich umzudrehen, zum Eingang der Tankstelle. Erst dort wendet er sich um und sieht, dass das Taxi gerade bei der nächsten Ampel links abbiegt.
Die verwunderten Blicke des Angestellten an der Kassa hinter den Glasscheiben der Tankstelle ignorierend, geht er mit seinem Koffer die Straße
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