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Attentage

Attentage

Titel: Attentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartl
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ein Prophet ist, dervon einer Jungfrau geboren und von Allah in den Himmel entrückt wurde. Das klingt doch ganz ähnlich wie das Christentum.“
    Der Angesprochene schweigt, bis Bruno den Koran nimmt, der auf dem Sims über der Pritsche liegt. Ahmed dreht sich nun doch ihm zu, setzt sich auf und sieht ihn wütend an, weil er es gewagt hat, das heilige Buch zu nehmen. Bedächtig schlägt Bruno die zweite Sure, „Die Kuh“, auf und liest: „Und wir gaben Isa, dem Sohn der Maria, die deutlichen Zeichen und stärkten ihn mit dem heiligen Geist, und so Allah wollte, so hätten die Späteren nicht gestritten, nachdem zu ihnen die deutlichen Zeichen kamen …“ Dann blättert er weiter zur vierten Sure, „Die Weiber“: „… es erhöhte ihn Allah zu sich und Allah ist mächtig und weise. Und wahrlich vom Volke der Schrift wird jeder an ihn glauben vor seinem Tode und am Tag der Auferstehung wird er wider sie Zeuge sein.“ Behutsam schließt Bruno den Koran und legt ihn auf die Pritsche.
    Ahmed weiß nicht, wohin das führen soll, aber er will es nicht unkommentiert lassen, dass ein Ungläubiger ihn über den Islam belehren will. „Die Christen sind Götzenanbeter und ein verdorbenes Volk“, stößt Ahmed zwischen den Zähnen hervor. Bruno versucht seine Freude über den Beginn eines Gesprächs nicht zu zeigen. „Nicht alle Christen sind verdorben“, sagt er. „Und es sind nicht alle Muslime so edel und rein wie du.“ Ahmed weiß nicht, ob das zynisch gemeint oder eine plumpe Schmeichelei ist.
    Bruno fährt scheinbar emotionslos fort: „Warum tötet ihr Menschen, ohne zu wissen, ob sie vielleicht ein Leben führen, das Allah wohlgefällig ist?“ Ahmed verzieht das Gesicht zu einem überheblichen Lächeln und nimmt den Koran,um dann laut in Sure 8 zu lesen: „Und nicht ihr erschlugt sie, sondern Allah erschlug sie; und nicht warfst du, als du warfst, sondern Allah warf. Und prüfen wollte er die Gläubigen mit einer schönen Prüfung von ihm. Siehe, Allah ist hörend und wissend.“
    „Tja“, sagt Bruno und bückt sich, um eines der zerrissenen Fotos aufzuheben, „dann ist Allah wohl auch dafür verantwortlich.“ Kurz sieht es danach aus, als ob Ahmed sich wieder auf ihn stürzen wird, doch dann antwortet er einfach nur lapidar: „Allahu akbar.“
    „Wirklich?“ Brunos Traurigkeit scheint nicht gespielt zu sein. „Jede Religion behauptet, den wahren Gott anzubeten. Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet eine Mondsichel das wichtigste Symbol des Islam ist? Wusstest du, dass man in Mekka früher den Mondgott,al-ilah allah hubal‘ anbetete und dass Mohammed deswegen von Allah sprach?“
    Ahmed hat über die Herkunft des Namens „Allah“ noch nie etwas gehört. Er ist wütend auf sich, weil er sich auf dieses lästerliche Gespräch eingelassen hat. Aber sein Schweigen würde bedeuten, dass er keine Antwort mehr auf diese subtilen Anklagen weiß und seinem seltsamen Besucher recht gibt. Diesen Triumph gönnt er ihm nicht.
    „Allah, der Barmherzige und Gnädige, hat viele Namen“, antwortet er mit fester Stimme, „aber die Christen behaupten, dass Gott einen Sohn gezeugt hat, und beten drei Götter an.“
    „Nun ja“, sagt Bruno, „viele Europäer glauben das nicht mehr. Sie gehen nicht in die Kirche und beschäftigen sich nicht mit theologischen Fragen. Warum müssen sie dann sterben? Wäre es nicht besser, zuerst einmal im eigenen Haus für Ordnung zu sorgen? Bist du ein Zaidit?“
    Ahmed hat genug von der Diskussion und schweigt. Bruno spielt auf die erbitterten Kriege zwischen dem Nord- und Südjemen und auf die Spannungen zwischen den Shiiten mit zaidistischer Tradition und den Sunniten in seinem Land an. Der unvorhersehbare Wechsel des Gesprächsthemas und die gleichzeitige Zielgerichtetheit dieses Fremden sind Ahmed unangenehm und werden ihm immer unheimlicher. Er merkt, dass sich in seinem Kopf schlechte Gedanken festsetzen. Fragen, die er sich selbst schon oft gestellt hat, werden ihm plötzlich auch in dieser Zelle gestellt. Er muss sich jetzt sammeln und dies beenden.
    Bruno spürt, dass sich sein Gegenüber nun wieder vor ihm verschließt. „Du kommst aus dem Jemen“, sagt er wie nebenbei und lächelt unverbindlich. Ahmed fällt plötzlich ein, dass Bruno ihn noch nie als Hussein angesprochen hat, wie es in seinem französischen Pass steht. Siedend heiß wird ihm klar, dass sie mehr wissen, als er bis jetzt ahnte.
    Als würde er seine Gedanken lesen können, fährt Bruno fort:

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