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Attentage

Attentage

Titel: Attentage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Bartl
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„Wir haben ein Foto von dir gemacht, um herauszufinden, wer du bist und wo deine trauernde Familie im Jemen lebt. Das wird nicht allzu schwierig sein, aber vermutlich noch etwas dauern.“ Als er merkt, dass Ahmed nahe daran ist, die Beherrschung zu verlieren, sagt er leise und sanft: „Aber wir haben ja reichlich Zeit. Wie heißt es doch in der siebten Sure:,Allahs Barmherzigkeit kennt keine Grenzen.‘“
    Bruno lässt die Zellentür beim Gehen fast geräuschlos einschnappen. Ahmed fühlt sich so zerrissen wie die Fotos der Opfer, die auf dem Boden liegen. Als tiefe Traurigkeit und Verzweiflung in ihm emporsteigen, kann er den auslösenden Grund dafür nicht klar erkennen. Sein Versagen bei dem Auftrag? Die Einzelhaft bis Lebensende ohne Aussicht aufBefreiung? Seine Familie wird er nie mehr wiedersehen, seine Lage ist aussichtslos, seine Mission wurde von ihm nicht erfüllt und er kann sich hier nicht einmal das Leben nehmen. Dazu kommen nun gotteslästerliche Gedanken, die ihn zusätzlich quälen. Das Gespräch war der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überfließen bringt. Er hat plötzlich schreckliche Angst, seinen Glauben zu verlieren und dafür von Allah für immer verworfen zu werden.

MITTWOCH, 21. MÄRZ, 14 UHR | WIEN, CAFÉ CENTRAL
    „Es kann streng genommen jeder sein“, sagt Leconte zu Heather und winkt dem Oberkellner, der solch ungebührliches Verhalten geflissentlich übersieht und sie zur Strafe ignoriert. „Wir haben über tausend Möglichkeiten. 750 geladene Gäste, 84 Journalisten sind akkreditiert und über 200 Menschen sind als Personal im Einsatz.“
    „200 kommt mir sehr viel vor“, sagt Heather.
    „Kellner, Türsteher, Reinigungskräfte, Sanitäter …“ Leconte zieht die Stirn in Falten.
    „Jetzt siehst du wie ein mürrischer französischer Commissaire aus“, sagt Heather und glättet ihm liebevoll mit beiden Händen die Stirn.
    „Ich BIN ein mürrischer …“, setzt Leconte an, aber Heather unterbricht ihn.
    „Bist du nicht, du spielst ihn anderen und dir selbst nur vor.“
    Da sich der Kellner nun doch herabgelassen hat, an ihrem Tisch stehen zu bleiben, bestellt Leconte einmal Apfelstrudel mit Vanillesauce. Heather will nur eine Tasse Wiener Melange, probiert aber dann doch den Strudel, um ihn unter spitzen Entzückungsschreien so gut wie allein zu verzehren. Den letzten Bissen schiebt Leconte ihr selbst in den bereitwillig geöffneten Mund.
    Obwohl sie erst seit kurzem ein Paar sind, hat sich Leconte bereits mehr an Heather gewöhnt, als ihm recht ist. Purront musste er schon nach drei Tagen in die Geschichteeinweihen, denn es wurde zu anstrengend, die Beziehung vor ihm zu geheim zu halten. Er hatte mit einem schäbigen Grinsen gerechnet, aber sein Assistent zelebrierte diese Enthüllung geradezu und ließ täglich mehrmals eine etwas anzügliche Bemerkung fallen. Leconte hat ihn dafür mit so viel akribischer Recherchearbeit eingedeckt, dass er ihn nur mehr selten zu Gesicht bekommt. Er starrt auf die Zahlen auf dem Notizblock vor ihm.
    „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Attentäter nicht aus einem arabischen Land kommt und das reduziert die möglichen Verdächtigen drastisch. Das Cateringunternehmen, die Security- und die Reinigungsfirma haben 23 Mitarbeiter aus muslimischen Ländern. Bei den Journalisten haben wir einen Iraker gefunden, der für ein Societymagazin arbeitet. Bei den Sanitätern stehen nur Mitarbeiter auf dem Dienstplan, die schon viele Jahre dabei sind, und keiner kommt auch nur annähernd in Frage. Auf der Gästeliste haben wir 16 Personen mit einem kulturellen Hintergrund gefunden, durch den sie möglicherweise in Berührung mit extremistischem Gedankengut gekommen sind. Wir haben sogar die Kontakte all dieser 40 Personen recherchiert. Nur drei Personen sind praktizierende Muslime aus arabischen Ländern, davon sind zwei Frauen, und die einzige männliche Person engagiert sich in ökumenischen Kreisen für das Verständnis der Religionen untereinander. Nicht unbedingt das Täterprofil eines fanatischen Selbstmordattentäters. Und wie gesagt: Streng genommen könnte jeder der tausend dort der Täter sein. Vielleicht kommt er aber ganz anders zu der Veranstaltung, als wir denken, oder dringt mit Gewalt ein. Oder er klettert wie Orson Welles im Film ˛Der dritte Mann‘ durch die Kanalisation. Vielleicht lässt er sich aber auch amTag vor dem geplanten Attentat im Rathaus einsperren. Das ist wie die Suche nach der Nadel im

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