Attentage
Nur wir drei wissen also bis jetzt davon. Sie müssen nun entscheiden, wie Sie weiter vorgehen. Meine Aufgabe ist hiermit erledigt.“ Es klingt wie ein formeller Abschlussbericht.
Leconte versucht sein Erstaunen zu verbergen, während er liest. Heather wirft Bruno mehrere anerkennende Blicke zu, bis sie der ungewöhnliche, immer lauter werdende Klingelton ihres Handys – ähnlich einem auf- und abschwellenden Trommelwirbel – beim Lesen unterbricht.
„Wie passend“, sagt Leconte und bereut sofort, was er gesagt hat.
Heather ignoriert seinen Sarkasmus. Sie notiert konzentriert zuhörend zwei Zeilen auf der Rückseite eines der handgeschriebenen Blätter, was Bruno mit einem missbilligenden Blick quittiert. Sie beendet das Gespräch mit „Danke, Erik“, und schiebt den Zettel zu Leconte. „Der Poet hat sich gemeldet!“, sagt sie kurz, während er bereits liest.
„Judas hat Judas verraten. Und auch der Toterklärte lebt. Von jetzt an werden Tod und Leben ein Rätsel bleiben.“
Leconte flucht. „Merde! Ein Maulwurf!“
„Das ist verrückt. Wir haben einen Informanten in ihren Leitungskreisen und sie haben einen Verräter mitten unter uns sitzen!“, stöhnt Heather und meint dann mit einem Seitenblick auf Bruno: „Das ist wie in einem schlechten Hitchcock-Film!“
„Hitchcock hat keine schlechten Filme gemacht!“, widerspricht Bruno.
Leconte ist ärgerlich. „Falls euch Cineasten das entgangen ist: Es werden unzählige Menschen sterben, weil sich unser Informant zurückzieht. Nur der kleine Führungskreis unserer Runde weiß, dass ein Attentäter überlebt hat und dass wir im Vorfeld informiert werden. Eine dieser Informationen könnte vielleicht noch durch Unachtsamkeit nach außen dringen, aber beide kennt nur ein absoluter Insider. Es könnte jeder von uns sein und es muss jemand von uns ein. Das macht unsere ganze Arbeit in der Zukunft sinnlos!“
Heather meint verwirrt: „Was sollen wir tun?“ Es klingt flehentlich, beinahe überfordert.
„Rede sofort mit Erik, dass er die Information über die Nachricht des Poeten noch an niemanden weitergibt“, sagt Leconte. Er spricht bestimmt und fest, als ob er nie die Leitung abgegeben hätte.
Am Tisch direkt neben ihnen nimmt ein junges Pärchen Platz. Heather steht auf, geht zu dem kleinen Teich in der Wiese gegenüber und setzt sich dort in Sichtweite auf eine Bank, um zu telefonieren, während Leconte die Rechnung verlangt.
Als der Commissaire nach dem Zahlen aufsteht, um mit Bruno zu Heather zu spazieren, sagt der Österreicher: „Hitchcock hat seine Zuseher als Regisseur gerne mitüberraschenden Wendungen verblüfft und ist sogar selbst in jedem seiner Filme als Statist oder in einer Nebenrolle aufgetaucht. Sie müssen in dieser Situation jetzt auch etwas tun, womit niemand rechnet, damit Sie die Kontrolle behalten. Geben Sie der Hälfte der FISA-Leute eine falsche Information und beobachten Sie, was danach geschieht!“
Leconte ärgert die seiner Meinung nach unnötige Hitchcock-Einleitung, aber der Vorschlag interessiert ihn: „Sie haben da sicherlich schon eine Idee, oder?“ Sie verlassen den Gehweg, auf dem sie Jogger und Radfahrer überholen.
Bruno denkt nach. „Wir haben ja die Bilder der Überwachungskamera der Bank gegenüber vom Internetcafé in Saana von jenem Nachmittag, an dem die zweite Botschaft vom Poeten gesandt wurde. Alle ihre Leute wissen zwar, dass sie nutzlos waren, weil nur verschwommene, schemenhafte Gestalten zu sehen sind. Behaupten Sie nun, dass wir die Aufnahmen unserem gefangenen Attentäter gezeigt haben und dass er eine Person darauf beim Hineingehen eindeutig an den Bewegungen und Konturen identifiziert hat!“
„Und wer soll diese Person sein, die Ahmed als den Poeten identifiziert hat?“ Heather hört nur mehr Brunos letzte Worte, als sie wieder zu ihnen stößt, und blickt ihn erstaunt an.
Bruno bricht das erwartungsvolle Schweigen erst nach unendlich lang scheinenden Minuten.
„Sheik Ali al-Houthi!“
Heather schüttelt ungläubig den Kopf. „Ein Sheik?“
„Ein Sheik in einem Gebirgsland mit wenig Öl und daher auch beinahe machtlos!“, sagt Leconte, der begriffen hat, dass Bruno seine Frage nach einem Vorschlag mit dieser Lüge beantwortet. „Die gemäßigten Führer in den Arabischen Emiraten werden ihn dafür fürstlich entlohnen. Sie fürchten denExtremismus, der ihnen das Geschäft verdirbt und den Amerikanern eines Tages die Legitimation geben könnte, ihr Land zu besetzen! Jeder
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