Attentage
hat eben seinen Preis! Vielleicht haben sie ihm auch Unterstützung für ein politisches Amt in der Zukunft versprochen. Ein Motiv so alt wie die Welt – Macht und Geld!“
Der philosophische Ausbruch von Leconte überrascht Heather. „Warum erfahren wir das erst jetzt? Hängt das damit zusammen, dass wir vermuten, dass es einen Verräter gibt?“ Sie klingt misstrauisch.
Bruno ist nicht aus der Fassung zu bringen. „Das ist eine Information, die ich weder in geschlossenen Räumen noch in einem Gastgarten weitergebe. Hier ist der richtige abhörsichere Ort.“ Er macht eine Handbewegung über die menschenleere Wiese.
„Geben Sie diese Information nur an die absolut Vertrauenswürdigen in Ihrer Gruppe weiter. Momentan hat sich der Poet zurückgezogen, aber das kann sich auch wieder ändern.“
„Gut, ich informiere Erik. Dann noch Amber, Kreuter und Phil. Den Spanier Carlos?“ Heather sieht den Commissaire fragend an.
„Ja. Und Purront, Sergej, dann noch den Finnen mit dem unaussprechlichen Namen und diesen Italiener. Der ist zu begriffsstutzig, um ein Verräter zu sein“, sagt Leconte.
„Elf – eine ganze Fußballmannschaft“, sagt Bruno. Er scheint seinen witzigen Tag zu haben.
„Ich hoffe, es gibt kein schweres Foul in diesem Spiel, bei dem Unschuldige sterben!“, sagt Leconte.
„Es sterben immer Unschuldige“, sagt Bruno und wendet sich zum Gehen, „so oder so!“
„Zwölf!“, sagt Heather, „es sind zwölf mit Ihnen. Sie haben sich selbst nicht mitgezählt!“
„Ich erwähnte doch schon, dass mein Job für mich bereits Vergangenheit ist“, betont Bruno.
„Aber nicht Ihr Wissen um all diese Details“, sagt Leconte und es klingt irgendwie drohend.
DIENSTAG, 17. APRIL, 19.30 UHR | SANAA, SUQ
Licht fällt durch das bunte Glas der halbkreisförmigen Butzenscheiben der Läden auf die engen Gassen in Alt-Sanaa. An der Rückseite von Gami al-Kabir, der größten der 40 Moscheen Sanaas, beginnt der Markt mit seinem Labyrinth aus engen Gässchen und dämmrigen Häusernischen. Die höhlenartigen offenen Läden im Suq ducken sich unter die Lehmhäuser mit den kalkweiß umrandeten Fenstern und Stuckverzierungen zwischen den Stockwerken.
Sheik Ali al-Houthi wartet im hinteren Raum einer Werkstatt für Silberschmuck auf Anwar al-Garadi. Der Vizechef der al-Qaida hat sich schon öfters hier mit ihm getroffen. Die Menschen, die spätabends leicht betäubt vom Qatkauen an den Werkstätten und Läden vorbei nach Hause eilen, achten nicht auf die Gesichter der Entgegenkommenden. Anwar ist ein von der Regierung gesuchter und von den Menschen gefürchteter Mann. Doch hier im Zentrum der Altstadt erwartet sein Auftauchen niemand. Der Laden gehört Khalid, der schon viele Jahre ein enger Vertrauter Anwars ist.
Ein dicker rotbrauner Vorhang trennt den rückwärtigen kleinen Raum vom vorne offenen Laden und der Gasse. Schwere Teppiche dämpfen den Lärm. Nur die schon heisere Stimme des jungen Kichererbsenrösters an der Ecke, der den Vorübergehenden seine Ware anpreist, dringt herein.
Der Sheik nimmt einen tiefen Zug aus der Wasserpfeife. Er lehnt sich beim Sitzen auf dem Teppich an purpurrote Sitzkissen. Auf dem Messingtischchen vor ihm wartenbereits Tassen und eine Silberkanne mit Cay auf seinen Gast. In der Ecke glüht Holzkohle in einem Kupferbehälter. Einige Gewürze am Rand der Hitze sorgen für orientalische Düfte und Gerüche.
Der Vorhang wird zur Seite geschoben und Anwar schlüpft behände in den kleinen Raum. Er ist heute nicht allein. Sein gedrungener Begleiter mit ungepflegtem Bart und fettigem Haar hat eine Kalaschnikow bei sich. Er wendet den beiden den Rücken zu und beobachtet durch einen Spalt das Geschehen im Laden und auf der Gasse.
Nach einer kurzen Begrüßung mustert Anwar den Sheik, während ihm dieser Cay einschenkt.
„Wir wissen nun, wer der Verräter ist“, sagt er.
Der Sheik hebt den Kopf und blickt ihn erwartungsvoll an. Anwar sieht noch müder aus als sonst. Seine dunklen Augen liegen tief in den Höhlen und seine Wangen sehen trotz des robusten Bartwuchses eingefallen aus, was sein Gesicht noch hagerer erscheinen lässt. Auch seine Haare sind ungewaschen und die rot-weiß gemusterte Kufiya, die seinen Kopf umhüllt, zeigt Spuren von Schmutz. Das monatelange Verstecken im unzugänglichen Gebirge fordert offensichtlich seinen Tribut.
„Du“, sagt Anwar ruhig.
Der Sheik erstarrt. Selbst ein schlechter Witz ist ausgeschlossen, denn Humor ist seinem Gegenüber
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