Attentage
Hotellobby positioniert. Auf den Dächern sind Scharfschützen. Und ein Lieferkastenwagen mit der Sondereinheit unserer Abteilung parkt in der Rue Rollin neben dem Hotel. Weitere Einheiten stehen mit ihren Fahrzeugen in der Nähe in einer Tiefgarage und können in drei Minuten beim Hoteleingang sein. Ich sehe Sie übrigens gerade den Platz überqueren. Ab jetzt wird jeder Ihrer Schritte von uns beobachtet.“ Lucien klingt, als ob er sich ein Lob erwartet.
„Dann kann ja absolut nichts mehr schiefgehen“, sagt Leconte und legt auf. Lucien erinnert sich erschrocken daran, dass ihm Erik aufgetragen hat, den Commissaire an die kugelsichere Weste zu erinnern. Als er seinen Chef mit aufgeknöpftem Hemd und Sakko über dem Arm das Hotel betreten sieht, weiß er, dass es ohnehin umsonst gewesen wäre.
MITTWOCH, 9. MAI, 11.59 UHR | PARIS, HOTEL CARDINAL LEMOINE
Es ist ruhig in der Lobby des kleinen Hotels. An der Rezeption ist nur ein graumelierter Angestellter zu sehen, der gerade mit einer Liste beschäftigt ist und aufblickt, als Leconte auf ihn zusteuert. Ein Mann in Leinenhose, weißem Shirt und mit einer grünen Sporttasche sitzt mit dem Rücken zu ihnen beim öffentlich zugänglichen Internetplatz des Hotels in einer Ecke.
Der Frühstücksraum ist nur durch eine Glaswand von der Lobby getrennt. Zwei Männer südländischen Typs in fast identen bräunlichen Anzügen und mit beigen Krawatten sitzen noch dort und ignorieren den Kellner, der gerade das Buffet abräumt. Die beiden diskutieren heftig und einer deutet immer wieder auf einen aufgeschlagenen Prospekt, der zwischen ihnen liegt.
Ein kurzer Klingelton kündigt die Ankunft des Hotellifts im Erdgeschoß an. Ein händchenhaltendes Paar um die 30 steigt aus. Leconte kennt die beiden schon einige Jahre. Sie gehören zur Abteilung für Personenschutz. Offenbar wurden sie gerade hier einquartiert und kommen nun auf einen Anruf Luciens hin punktgenau zu Lecontes Eintreffen in die Lobby. Der Commissaire muss zugeben, dass sein neuer Assistent bis jetzt gute Arbeit geleistet hat. Er erreicht die Rezeption knapp vor dem vermeintlichen Liebespaar. Die beiden warten in einem Höflichkeitsabstand hinter ihm, der aber noch nahe genug ist, um alles mithören zu können.
„Ist eine Nachricht für Monsieur Leconte abgegeben worden?“, fragt der Commissaire.
Der Graumelierte wirkt genervt, aber verbirgt es hinter gespielter Höflichkeit. „Darf ich Ihre Zimmernummer wissen?“
„Nein, weil ich nicht hier wohne“, sagt Leconte und versucht erst gar nicht, höflich zu sein.
„Pardon“, sagt der Hotelrezeptionist und macht sich etwas größer, als er ist. „Darf ich bitte unseren Gästen, die hinter Ihnen warten, zuerst behilflich sein.“
Leconte schafft es, sich zu beherrschen, und die beiden ohne Kommentar vorzulassen. Nach einer kurzen Konversation über das Zimmer und die Schlüsselabgabe ist der Graumelierte für ihn wieder zu sprechen.
„Leconte, sagten Sie? Und kein Zimmer?“ Er studiert einige Notizzettel. „Was soll das für eine Nachricht sein?“
„Ich bin hier um 12 Uhr mit einem Freund verabredet.“
„Ah! Sind Sie der Herr von der Polizei?“
Leconte ist verblüfft und nickt.
„Ja, da war ein Anruf von einem Herrn Jamal, dass er einige Minuten verspätet zu Ihrem Treffen kommt. Sie möchten bitte an der Bar kurz auf ihn warten.“ Der Graumelierte ist nun beinahe unterwürfig.
„Und wo ist die Bar?“ Leconte fragt laut nach, damit es die beiden Mitarbeiter noch hören können, die jetzt in den Polstermöbeln der Lobby Platz genommen haben und vorgeben, den Pariser Stadtplan zu studieren. Der Mann am Computer und die beiden Gäste aus dem Frühstücksraum sind in der Zwischenzeit verschwunden. Bis auf die beiden Polizisten und den Hotelangestellten ist weit und breit niemand zu sehen. Leconte befürchtet, dass der Poet bemerkt hat, dass sie nicht alleine sind. Vielleicht hat er dieScharfschützen auf den Dächern entdeckt? Oder er fand den Van in der Seitengasse verdächtig?
„Gleich nebenan.“ Der Graumelierte deutet auf den Frühstücksraum. Erst jetzt, nachdem das Buffet völlig abgeräumt wurde, sieht Leconte die Theke an der rückwärtigen Wand. Es gibt kein Hotelrestaurant und der Frühstücksraum wird tagsüber nur von wartenden Hotelgästen genutzt, die etwas trinken wollen. Abends kann man hier noch einen letzten Drink bekommen, aber das nüchterne Ambiente ladet sicherlich nicht zum Feiern in ausgelassener Stimmung ein.
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