Auch Deutsche unter den Opfern
Zigaretten gedreht, Tapas gedippt und Rastazöpfe um tapasschmierige Finger gewickelt. In der Mitte des Lokals steht eine verhuschte Dame und spielt Gitarre; zwei Mädchen mit Kleistereimer und Plakatrolle laufen vorbei. Wenig Hinweise auf das Jahr 2009. Mit Anzug und Krawatte dort wartend zu stehen, das ist eine gute Übung fürs Selbstbewusstsein. »Wie läufst du denn rum?«, wird man angerotzt, das ist dann die Pointe der »Gegenkultur«, der Supertoleranz. Wäre ich ein Porsche, ich würde vermutlich schon brennen.
Endlich steigt Özdemir aus einem Taxi, ebenfalls im Anzug, er ist türkischstämmig, er ist Grüner – ich bin in Sicherheit. Beim Asia Imbiss gegenüber ist es ruhiger, gehen wir also dorthin, einen Mango Lassi für den Bundesvorsitzenden, bitte! Und, wie geht’s? Bisschen müde, aber gut. Frühmorgens um sieben Uhr Äpfel verteilen in der Straßenbahn, dann eine Rede in Frankfurt an der Oder, ein »interkulturelles Grillfest« in Potsdam, und schließlich die Verabschiedungsfeier der »taz«-Chefredakteurin hier ums Eck, da kommt er jetzt gerade her. Sein Telefon blinkt, ein Mitarbeiter. »Du, ich bin jetzt busy«, macht es Özdemir kurz. Wenn man Politikern, egal von welcher Partei, am Ende eines Wahlkampftags begegnet, spürt man den Impuls, sie kurz mal in den Arm nehmen und trösten zu wollen.
Was hat er denn bei der »taz« so mit auf den Weg bekommen? Özdemir rührt in der Mangomilch. Wenn es zu einer »Jamaika-Koalition« kommen sollte, dann wär’s das gewesen, habe man ihm gesagt; und im Sündenfall Schwarz-Grün ebenfalls. Und zur Erinnerung noch mal, was unter Rot-Grün alles schiefgelaufen sei, aus Sicht der »taz«. Aberregieren sollten die Grünen schon. Özdemir zuckt mit den Schultern: Mit wem denn – allein?
»Es ist schon zum Augenreiben, wer heute alles von grünen Ideen spricht«, hatte sein Brief begonnen, und schon das fand ich falsch gedacht. Die sympathische Gründungsidee der Grünen, die Politik zu verändern, kann doch nicht münden in beleidigte Beschwerden über »Produktpiraterie« (Renate Künast), wenn auch die anderen Parteien »grüne Inhalte« in ihre Programme schreiben. Um interessant oder potentiell republikverändernd zu bleiben, gebe es nun zwei Möglichkeiten, versuche ich, mich als Unterstützer sogleich zu disqualifizieren: sofortige Auflösung der Partei oder konsequente Orientierung zur einzigen noch aufregenden Grün-Koalition, die Energien aller Art freizusetzen verspräche – Schwarz-Grün. Das sehe er eigentlich genauso, sagt Özdemir, das sei zweifellos die Zukunft, Schwarz-Grün. Und genau deshalb müsse man eben im Saarland jetzt Rot-Rot-Grün durchsetzen.
Hä, was, wie?
Ja, als Gegenargument, um den Parteifrieden zu wahren. Falls der linke Flügel meutere, die Partei rücke mit Schwarz-Grün zu weit nach rechts, könne man dem entgegenhalten: Stimmt doch gar nicht, wir machen schließlich auch Rot-Rot-Grün.
Tja, welches Bündnis wählt man also mit den Grünen? Wenn die Experten im Fernsehen »die neue Machtarithmetik im Fünfparteiensystem« erläutern, wird einem ganz schwindelig, man muss praktisch um zwei Ecken wählen. Oder? Hauptsache, die Grünen seien stark, sagt natürlich Özdemir, die drittstärkste Kraft bestimme die Preise. Und dann von Fall zu Fall entscheiden, thematisch, pragmatisch. Das Fünfparteiensystem als nunmehr gegeben hinnehmen, und Die Linke im Bund kühl argumentativ bekämpfen: Nationalstaatlich, antiinternational, unverantwortlich – und »Reichtum für alle«, das sei doch schierer Dadaismus. Findet er also auch eher widerlich, Rot-Rot-Grün, ja? Problem dabei wäre, sagt Özdemir, dass die Grünen es dann mit anderthalbkonservativen Parteien zu tun bekämen. Könnte man nicht sogar reaktionär sagen? Er schüttelt nicht den Kopf.
Bei Schwarz-Grün weint aber Claudia Roth, und man wird wieder genervt mit Zerreißprobentheater, oder? Nur Schwarz-Gelb-Grün sei noch verbotener, erklärt Özdemir; er merke das bei den Wahlkampfauftritten, Attacken gegen die Kanzlerin seien lange nicht so sichere Applausbringer wie Witze über Westerwelle: Immer, wenn er spüre, jetzt brauche er mal wieder einen Lacher, einen dicken Applaus, dann sage er, Westerwelle habe ja nun schon zweimal das Umzugsunternehmen wieder abbestellen müssen, und jetzt habe man alles daranzusetzen, dass Westerwelle am 27. 9. um 18 Uhr erneut das Umzugsunternehmen abbestellen müsse. Strahlender Özdemir, doch das ist ja nun tatsächlich
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