Auch keine Tränen aus Kristall
er gelernt, von den komischen Pfeifwörtern und den Klickreden eine ganze Menge zu verstehen. Das war gut, denn die Thranx-Kinder kannten überhaupt keine richtige Sprache. Matthew war von allen der Beste und war stolz, als die anderen Kinder ihn zu übersetzen baten. Aber während die Wochen dann dahingingen, lernten beide Gruppen voneinander. Weil die Larven flexible Kiefer hatten, konnten sie sogar besser wie Menschen reden als Ryo.
Das schien die Erwachsenen ebenso zu überraschen, wie es ihnen Freude machte. Matthew schüttelte den Kopf. Manche Erwachsene waren einfach dumm. Schließlich ist ein Stock ein Stock, ob man ihn nun als Stock bezeichnet oder ein Pfeifwort dafür hat.
Es überraschte ihn auch, dass er Moul und den anderen Larven leidtat. Sicher, Moul hatte keine Arme und keine Beine, aber er stieß auch nicht gegen Gegenstände oder stach sich mit Dornen. Das war Matthew peinlich und machte ihn ein wenig zornig. Manchmal dachte er daran, Moul zu schlagen, um ihm mal zu zeigen, wozu Hände gut waren.
Aber ganz gleich, was er sagte oder wie er es sagte: weder Moul noch seine Gefährten schienen je böse zu werden. Sie schmollten manchmal vielleicht, aber böse waren sie nie. So jemanden konnte man einfach nicht schlagen. Und als Moul ihm das dann erklärte, ließ Matthews Zorn nach. Komisch, über was für Dinge Erwachsene sich manchmal aufregen.
Matthew hatte auf der Erde eine ganze Menge Freunde in der Schule. Ein paar von ihnen hatten sich auch für den Flug qualifiziert. Einer war ein größerer Junge, der Werner hieß, und Matthew konnte einfach nicht begreifen, wie der das geschafft hatte. Er hatte Matthew ein paarmal verprügelt.
Moul bedauerte das sehr, als Matthew ihm das sagte.
»Ich wette, Werner würde sich nie trauen, dich zu verprügeln«, erklärte er Moul eines Tages, als sie in dem Zimmer saßen, den die Erwachsenen den Interaktionsraum nannten. »Du bist zu groß.«
»Jetzt schon«, pflichtete Moul ihm bei, »aber wenn er dann ausreift, wird er größer sein als ich, und nach der Metamorphose bin ich vielleicht ein wenig kleiner als jetzt.«
»Das ist verrückt«, sagte Matthew. »Beim Erwachsenwerden kleiner werden. Aber dafür kriegst du einen völlig neuen Körper - das klingt prima. Ich wünschte, ich könnte auch metamosie ... metamorphosieren.« Er fügte ein weiteres Magnetstück an das Gebäude, mit dem er und Moul im Augenblick beschäftigt waren. Diesmal war es etwas gebogen. Moul mochte keine Hände haben, aber seine Vorschläge waren Spitze.
»Jedenfalls«, fragte sich Moul, »wenn Werner größer und stärker als du ist, warum meint er dann eigentlich, dass er dich schlagen muss? Wenn er größer ist, sollte er doch auch schlauer sein und wissen, wie unproduktiv so ein Verhalten ist.«
»Hm, ja«, murmelte Matthew, »aber ich würde ihm ganz gern mal eine reinsemmeln.« Er schlug sich mit der Faust in die offene Hand, was ein klatschendes Geräusch erzeugte.
»Aber warum möchtest du so etwas denn tun?« fragte der ernsthafte Moul.
»Um es ihm ... naja, einfach zu zeigen.« Manchmal konnte sogar Moul die dümmsten Sachen sagen.
»Was zu zeigen?«
»Dass er mich nicht schlagen soll.« Matthew stemmte die Hände in die Hüften und machte dann die Thranx-Geste für leichte Verzweiflung. »Junge, die meiste Zeit bist du schrecklich schlau, Moul. Aber manchmal bist du auch furchtbar schwer von Begriff.«
»Das tut mir leid«, erwiderte die Larve. »Ich weiß nur zu wenig über euch. Mir kommt das alles so albern vor. Wäre es denn nicht besser für euch beide, wenn ihr Freunde wäret?«
»Naja ... sicher wäre es das, denke ich«, räumte Matthew widerstrebend ein, »aber Werner ist eben ein Raufbold und verprügelt gern Leute.«
»Larven, die schlauer sind als er?«
»Nun«, der Junge überlegte einen Augenblick lang, »ja, ich denke schon.«
»Ist es das, was man unter ›Raufbold‹ versteht - jemand, der andere verprügelt, die physisch schwächer sind?«
»Ja, so ist es wohl.« Tatsächlich hatte Matthew nicht viel darüber nachgedacht. Für ihn war ein Raufbold jemand, der Matthew Bonner verprügelte. Weiter brauchte die Definition nicht zu gehen.
»Dann kommt er mir gar nicht besonders groß vor. Für mich klingt das eher so, als hätte er einen sehr kleinen Verstand.«
»Ja, das muss wohl so sein. Ja, so ist es.« Matthew lächelte breit. »Ein kleiner Geist. Ein kleiner Verstand.« Er lachte, vergnügt darüber, dass er etwas Neues entdeckt hatte.
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