Auch keine Tränen aus Kristall
Gewebe hergestellt. Sein Chiton war gerade dabei, von Blaugrün ins Violette umzuschlagen. Die Implantate an seinem oberen und unteren Leib waren abwechselnde Einsätze aus blauem und silbernem Metall, die in einfachen Mustern angeordnet waren. Alles an seiner Haltung und seiner Aufmachung verrieten Intelligenz und Wohlstand.
In der Halstasche des Älteren war eine kleine Ausbuchtung zu erkennen. Wahrscheinlich trägt er da ein dickes Bündel Credits, dachte Ryo kalt. Eine nette schwere Rolle aus achtzig Credit- Stücken, mit denen er vor weniger Glücklichen prahlen kann. Sein Kreditstab würde für Ryo natürlich völlig nutzlos sein; aber die Credits würden vielleicht für eine Passage nach Hivehom ausreichen.
Aber wie? Er konnte ja hier in einem öffentlichen Gebäude nicht einmal ein Achtel Credit erbetteln, und ganz bestimmt nicht achthundert. Sprich schnell zu ihm, ehe er weitergeht, sagte sich Ryo, als ihm plötzlich der verrückte Gedanke kam.
Frag ihn nach der Richtung, nach Sympathie. Frag ihn irgend etwas, solange es ihn nur hierherbringt. Nein, dort drüben hinter der großen Säule, wo uns niemand sieht.
Ein schneller Nackenschlag, dicht unter dem Schädel, gerade ausreichend, um ihn einen Augenblick lang außer Gefecht zu setzen. Und wenn du ihm dabei den B-Thorax zerschlägst, was macht das schon? Schließlich stelzt er in dem Terminal herum, als ob er ihm gehörte! Ob er irgendwelche Träume hat? Höchst zweifelhaft. Wahrscheinlich hat er seinen Reichtum ohnehin nur geerbt. Er verdient ihn jedenfalls nicht, kann ihn gar nicht gebrauchen. Im Gegensatz zu denjenigen von uns, die immer noch den Mut zum Träumen haben, selbst wenn solche Träume ungesund und unwillkürlich sind, weil sie uns treiben, antreiben, zwingen ...
»Verzeihen Sie, Sir«, hörte er sich höflich sagen. »Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?«
»Aber ganz bestimmt, mein Freund.« Die Stimme war perfekt moduliert, ein unauffälliges Ineinanderübergehen von Pfeiflauten und Silben. Eine Stimme, die es gewöhnt war, sich in Hochthranx zu unterhalten, nicht in Niederthranx. Nicht so wie wir gewöhnlichen Landleute, dachte Ryo.
»Ich bin neu in der Wabe.«
»Das ist leicht zu erkennen«, sagte sein Gegenüber mitfühlend.
Ich wette, dass Sie das erkennen, dachte Ryo grimmig. In ein paar Augenblicken wird man dir die Mühe des Denkens ersparen.
»Hier, bitte, Sir, wenn Sie so liebenswürdig wären. Dort hab' ich meine Karte.« Er wies auf die mächtige Säule. Rings um sie pfiffen Moduln, und Leute redeten laut, ganz in ihre Angelegenheiten versunken. Es würde nur eine Sekunde dauern, eine einzige Sekunde, und niemand würde etwas bemerken.
»Bei meinem Gepäck ist sie.«
»Ich bin Ihnen gern behilflich, Jüngling.« Der Ältere senkte höflich die Fühler. »Sehen wir uns doch Ihre Karte an.«
Sie waren jetzt ganz nahe bei der Säule. »Seltsam«, bemerkte der Ältere und blickte überrascht auf den Boden. »Wo, sagten Sie, ist Ihr Gepäck?«
»Dort«, sagte Ryo aufmunternd. »Dort hinten im Schatten.«
Verzweifelt versuchte er mit der Fußhand nach dem Nacken des Älteren zu schlagen, aber sein Opfer war schon zu weit entfernt, weit entfernt, auf der anderen Seite des Dschungels, jenseits des wütenden Süd-Jhe, und musterte ihn neugierig und gab traurige Geräusche von sich, während er in der Ferne verblasste.
Dann schleuderte jemand den Boden des Terminal nach ihm. Sehr unfair, dachte er, verdammt unfair, einen ganzen Boden nach einer ertrinkenden Seele zu werfen. Der Boden presste ihn in die Tiefe, ganz weit hinunter in die Tiefen des donnernden, sich dahinwälzenden Flusses ...
Was er bei der Rückkehr nie erwartet hätte, war Sonnenschein. Er wärmte seine Augen und zwang ihn, sich von dem grellen Schein abzuwenden. Plötzlich war ihm übel, aber in seiner Speiseröhre war nichts, was er hätte auswürgen können.
Eine sanft klingende Stimme sagte: »Sie haben einen ganzen Tag und eine ganze Nacht geschlafen. Höchste Zeit, dass Sie aufwachen.«
Ryo setzte sich sehr langsam auf, rollte sich zur Seite und hob seine obere Körperhälfte. Und in dem Augenblick wurden ihm einige Dinge bewusst, die ihn, zusammengenommen, fast überwältigt hätten: ein Eindruck dezenten Wohlstands, Morgensonne und das wunderbare Aroma frisch gekochten Essens.
»Ich würde fragen, ob Sie hungrig sind. Aber wenn man Ihre feuchten Kiefer ansieht, liegt die Antwort klar vor Augen.«
Ryo suchte, woher die Stimme kam. Und da
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