Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Pik und gewann. So etwas ist mir bisher noch nicht passiert.«
»Soweit ich orientiert bin, spielten Sie vor dem Tee Bridge?« sagte Poirot. »In welcher Geistesverfassung befand sich Sir Gervase, als er zum Tee erschien?«
»Wie üblich – genau wie immer. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, daß er die Absicht hatte, Schluß zu machen. Vielleicht war er ein bißchen nervöser als sonst – wenn ich es mir genauer überlege.«
»Wann haben Sie ihn zum letztenmal gesehen?«
»Genau da – beim Tee. Lebend habe ich den armen Kerl dann nicht mehr gesehen.«
»Sie waren nach dem Tee nicht im Arbeitszimmer?«
»Nein, ich habe ihn nicht mehr gesehen.«
»Wann sind Sie zum Abendessen herunter gekommen?«
»Nach dem ersten Gongen.«
»Sie und Lady Chevenix-Gore kamen zusammen herunter?«
»Nein, wir – äh – wir trafen uns in der Halle. Ich glaube, sie hatte im Speisezimmer noch nach den Blumen gesehen – oder etwas Ähnliches.«
»Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, Colonel«, sagte Major Riddle, »wenn ich Ihnen jetzt eine ziemlich persönliche Frage stelle. Hatte es zwischen Ihnen und Sir Gervase irgendwelche Unstimmigkeiten wegen der Paragon Synthetic Rubber Company gegeben?«
Colonel Burys Gesicht wurde plötzlich puterrot.
»Aber nein! Wirklich nicht! Der alte Gervase war ein Mann, mit dem man nicht vernünftig reden konnte. Das dürfen Sie bei allem nicht übersehen. Er erwartete immer, daß alles, was er anfaßte, sich als Trumpf erwies! Schien einfach nicht zu begreifen, daß die ganze Welt augenblicklich mitten in einer Krise steckt. Und das wirkt sich zwangsweise auf sämtliche Aktien und Papiere aus.«
»Also bestanden doch gewisse Unstimmigkeiten zwischen Ihnen?«
»Unstimmigkeiten ist zuviel gesagt. Gervase wollte bloß nicht mit sich reden lassen.«
»Er gab Ihnen die Schuld an bestimmten Verlusten, die er hatte hinnehmen müssen?«
»Gervase war nicht normal! Auch Vanda wußte das. Aber sie konnte mit ihm umgehen. Ich gab mich damit zufrieden, daß sie die Geschichte in die Hand nahm.«
Poirot hüstelte, und Major Riddle wechselte das Thema, nachdem er Poirot einen kurzen Blick zugeworfen hatte.
»Ich weiß, daß Sie ein alter Freund der Familie sind, Colonel Bury. Sind Sie darüber orientiert, wie Sir Gervase über sein Vermögen verfügt hat?«
»Ich könnte mir vorstellen, daß es im wesentlichen an Ruth fällt. Wenigstens nehme ich es nach allem, was Gervase darüber fallen ließ, mit einiger Sicherheit an.«
»Finden Sie das Hugo gegenüber nicht ein bißchen ungerecht?«
»Gervase mochte Hugo nicht. Konnte ihn nie leiden.«
»Aber er besaß doch einen ausgeprägten Familiensinn. Schließlich ist Miss Chevenix-Gore doch nur seine Adoptivtochter.«
Colonel Bury zögerte; nachdem er sich eine Weile gewunden und geräuspert hatte, sagte er: »Wissen Sie – ich glaube, ich schenke Ihnen lieber reinen Wein ein. Natürlich streng vertraulich und so weiter!«
»Natürlich – selbstverständlich.«
»Ruth ist zwar ein uneheliches Kind, aber trotzdem eine Chevenix-Gore. Sie ist die Tochter von Gervases Bruder Anthony, der im Krieg fiel. Dieser Anthony hatte anscheinend etwas mit einer Stenotypistin. Als er gefallen war, schrieb das Mädchen an Vanda. Vanda fuhr hin – das Mädchen erwartete ein Kind. Vanda besprach die Geschichte mit Gervase, zumal sie gerade erfahren hatte, daß sie selbst nie ein Kind bekommen könnte. Das Ergebnis bestand darin, daß sie das Kind, als es geboren war, zu sich nahmen und rechtmäßig adoptierten. Die Mutter verzichtete auf sämtliche Ansprüche. Sie haben Ruth dann wie ihre eigene Tochter großgezogen, und alles in allem ist sie tatsächlich ihre Tochter: man braucht sie nur anzusehen, um zu merken, daß sie eine echte Chevenix-Gore ist.«
»Aha«, sagte Poirot. »Ich verstehe. Das erklärt zu einem Teil Sir Gervases Verhalten. Aber wenn er Mr. Hugo Trent nun nicht mochte – warum bemühte er sich dann so, daß es zu einer Heirat zwischen Hugo Trent und Mademoiselle Ruth kam?«
»Um die Verhältnisse innerhalb der Familie zu regeln. Er hielt es für angebracht.«
»Obgleich er den jungen Mann weder mochte noch ihm traute?«
Colonel Bury schnaubte.
»Sie begreifen den alten Gervase nicht! Es war ihm einfach nicht möglich, in den Leuten menschliche Wesen zu sehen. Er arrangierte Verlobungen, als handelte es sich bei den Betroffenen um Persönlichkeiten aus der königlichen Familie! Und seiner Ansicht nach war es nur recht und
Weitere Kostenlose Bücher