Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
Chevenix-Gore kam dabei aus dem Speisezimmer. Woher kam Bury? Ist es nicht vorstellbar, daß er nicht von oben, sondern aus dem Arbeitszimmer kam? Dafür spricht der Bleistift.«
»Ja, der Bleistift ist tatsächlich interessant. Er verriet keinerlei Bewegung, als ich den Bleistift hervorholte; vielleicht kam es aber daher, daß er nicht wußte, wo er gefunden worden war und wo er ihn verloren hatte. Wer aber war dabei, als Bridge gespielt und der Bleistift benutzt wurde? Hugo Trent und Miss Cardwell. Sie kommen nicht in Betracht, denn Miss Lingard und der Butler können ihr Alibi bestätigen. Bleibt, als vierter Partner, Lady Chevenix-Gore übrig.«
»Es ist doch nicht Ihr Ernst, sie zu verdächtigen?«
»Warum nicht, mein Freund? Eines will ich Ihnen sagen: Verdächtigen kann ich alle! Angenommen beispielsweise, daß sie zwar offensichtlich an ihrem Mann hängt, daß sie jedoch in Wirklichkeit einzig und allein Bury liebt?«
»Hm«, meinte Riddle. »In gewisser Weise ist das seit Jahren eine ménage à trois gewesen.«
»Und wegen der Firma hat es zwischen Sir Gervase und Colonel Bury einigen Ärger gegeben.«
»Es stimmt, daß Sir Gervase möglicherweise die Absicht hatte, äußerst unangenehm zu werden. Die näheren Umstände kennen wir allerdings nicht. Es könnte jedoch zu dem passen, was Sie folgern. So kann Sir Gervase den Verdacht gehabt haben, Bury hätte ihn bewußt übers Ohr gehauen, nur wollte er seinen Verdacht nicht aussprechen, weil die Möglichkeit bestand, daß seine Frau mit der Angelegenheit zu tun hatte. Ja, das ist möglich. Damit hätte jeder der beiden ein plausibles Motiv. Andererseits ist es tatsächlich ein bißchen merkwürdig, daß Lady Chevenix-Gore den Tod ihres Mannes so ruhig hinnahm. Und dieser ganze Spiritismus kann genausogut gespielt sein!«
»Hinzu kommt noch eine weitere Komplikation«, sagte Poirot.
»Miss Chevenix-Gore und Burrows – es lag doch sehr in ihrem Interesse, daß Sir Gervase das neue Testament nicht unterschrieb. So, wie es augenblicklich ist, bekommt sie alles unter der einzigen Bedingung, daß ihr Mann den Familiennamen annimmt…«
»Ja, und Burrows’ Aussage über Sir Gervases Verhalten heute abend ist ebenfalls nicht ganz einwandfrei. Gutgelaunt und zufrieden! Das paßt überhaupt nicht zu allem, was wir sonst noch erfahren haben.«
»Und dann noch Mr. Forbes. Sehr korrekt, sehr seriös, und dazu aus einer alten und angesehenen Firma. Aber alle Anwälte, auch die angesehensten, sind dafür bekannt, daß sie sich an den Geldern ihrer Klienten vergreifen, wenn sie selbst in der Klemme sitzen.«
»Jetzt werden Sie meiner Meinung nach ein bißchen zu sensationslüstern, Poirot!«
»Sie glauben, daß das, was ich andeute, zu sehr einem Film ähnelt? Aber das Leben, Major Riddle, ähnelt den Filmen manchmal erstaunlich.«
»In Westshire bisher allerdings nicht«, sagte der Chief Constable. »Aber hören wir uns lieber an, was die übrigen uns noch zu erzählen haben – finden Sie nicht auch? Es wird langsam spät. Ruth Chevenix-Gore haben wir noch nicht gesprochen, und sie dürfte wahrscheinlich die wichtigste Person sein.«
»Einverstanden. Außerdem fehlt auch noch Miss Cardwell. Vielleicht sollten wir uns zuerst mit ihr unterhalten, da es bei ihr sowieso nicht lange dauern wird, und Miss Chevenix-Gore als letzte hören.«
»Keine schlechte Idee.«
Bisher hatte Poirot für Susan Cardwell nur einen flüchtigen Blick übriggehabt. Jetzt betrachtete er sie aufmerksamer. Ein intelligentes Gesicht, überlegte er, nicht ausgesprochen gutaussehend, aber doch von einem Reiz, um den ein nur hübsches Mädchen sie beneiden dürfte. Ihr Haar war prachtvoll, ihr Gesicht war geschickt zurechtgemacht. Und ihre Augen waren sehr wach, wie Poirot merkte.
Nach einigen einführenden Fragen sagte Major Riddle: »Ich weiß gar nicht, wie gut Sie mit der Familie bekannt sind, Miss Cardwell?«
»Ich kenne niemanden. Hugo hat veranlaßt, daß ich eingeladen wurde.«
»Dann sind Sie also eine Bekannte von Hugo Trent?«
»Ja, genau das bin ich: Hugos Freundin.« Susan Cardwell lächelte, als sie dies ganz obenhin sagte.
»Sie kennen ihn schon länger?«
»Aber nein – seit ungefähr einem Monat.« Sie verstummte, fügte dann jedoch noch hinzu: »Übrigens wollen wir uns verloben.«
»Und er brachte Sie hierher, um Sie seinen Verwandten vorzustellen?«
»Um Himmels willen – deswegen nicht! Wir haben noch mit keinem Menschen darüber geredet. Ich bin bloß
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