Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories
ja, ja, ein Instrument der Vorsehung. Aber der verborgene Zweck ist deutlich zu erkennen. Und noch eins, Monsieur Poirot, es läßt sich nicht mehr lange hinauszögern.«
Poirot blickte ihn aufmerksam an.
»Warum sagen Sie das?«
»Weil ich selbst dem Ende nahe bin. Letztes Jahr konsultierte ich meinen Arzt. Ich leide an einer unheilbaren Krankheit – es wird nicht mehr lange dauern. Aber bevor ich sterbe, wird uns Ronald genommen werden. Gerald wird der Erbe sein.«
»Und wenn Ihrem zweiten Sohn auch etwas passieren sollte?«
»Ihm wird nichts passieren; er ist nicht bedroht.«
»Aber es könnte doch sein!« beharrte Poirot.
»Dann ist mein Vetter Roger der nächste Erbe.«
Wir wurden unterbrochen. Ein großer Mann mit guter Figur und krausem rötlichem Haar trat ein mit einem Bündel Papiere in der Hand.
»Später, Gardiner«, sagte Hugo Lemesurier und fügte hinzu:
»Mein Sekretär, Mr. Gardiner.«
Der Sekretär machte eine Verbeugung, sprach ein paar passende Worte und ging wieder hinaus. Trotz seines guten Aussehens hatte er etwas Abstoßendes an sich. Kurz danach, als Poirot und ich zusammen den schönen alten Park durchstreiften, sprach ich mit ihm über diesen Eindruck. Zu meiner Überraschung stimmte er mir zu.
»Ja, ja, Hastings, Sie haben recht. Ich mag ihn auch nicht. Er sieht zu gut aus. Das ist einer, der weiß, wo Barthel den Most holt. Aha, hier sind die Kinder!«
Mrs. Lemesurier kam mit ihren beiden Kindern auf uns zu. Es waren hübsche Jungen, der jüngere dunkel wie seine Mutter, der ältere ein rothaariger Krauskopf. Sie gaben uns höflich die Hand und waren bald Feuer und Flamme für Poirot. Dann wurden wir noch Miss Saunders, einem ziemlich unscheinbaren Wesen, vorgestellt, die sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatte.
Einige Tage lang führten wir ein angenehmes, unbeschwertes Dasein – natürlich stets auf der Hut, aber es passierte nichts. Die Jungen lebten glücklich und normal dahin, und alles schien in bester Ordnung. Am vierten Tage nach unserer Ankunft erschien Major Roger Lemesurier zu Besuch. Er hatte sich kaum verändert, war immer noch so sorglos und freundlich wie früher und nahm in alter Gewohnheit alle Dinge auf die leichte Achsel. Offenbar hatte er bei den Jungen einen großen Stein im Brett; denn sie begrüßten seine Ankunft mit einem Freudengeheul und schleppten ihn gleich mit in den Garten zum Indianerspielen. Ich merkte, daß Poirot ihnen unauffällig folgte.
Am nächsten Tag waren wir alle, auch die Jungen, bei Lady Claygate, einer Nachbarin der Lemesuriers, zum Tee eingeladen. Poirot jedoch lehnte es ab, mitzukommen, und erklärte, er bleibe viel lieber zu Hause.
Sobald alle fort waren, machte er sich ans Werk, wobei er mich lebhaft an einen intelligenten Terrier erinnerte. Ich glaube, es blieb im ganzen Hause wohl kein Winkel unerforscht. Und doch ging alles so ruhig und methodisch vor sich, daß niemand auf sein Gebaren aufmerksam wurde. Aber seine Bemühungen waren ergebnislos. Wir tranken unseren Tee auf der Terrasse mit Miss Saunders, die von Lady Claygate nicht mit eingeladen worden war.
»Die Jungen werden ja ihren Spaß haben«, murmelte sie in ihrer verblichenen Art, »aber hoffentlich werden sie sich gut aufführen und nicht die Blumenbeete ramponieren oder zu nahe an die Bienen gehen –«
Poirot hielt mitten im Trinken inne und sah aus wie jemand, der einen Geist gesehen hat.
»Bienen?« fragte er mit Donnerstimme.
»Ja, Monsieur Poirot, Bienen. Drei Körbe. Lady Claygate ist sehr stolz auf ihre Bienen –«
»Bienen?« rief Poirot noch einmal. Dann sprang er vom Tisch auf und ging, heftig gestikulierend, auf der Terrasse hin und her. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum der kleine Mann bei dem bloßen Wort »Bienen« in eine solche Aufregung geriet.
Bald darauf hörten wir das Auto zurückkommen. Poirot war bereits an der Haustür, als die anderen ausstiegen.
»Ronald ist gestochen worden!« rief Gerald erregt.
»Es ist aber nicht so schlimm«, sagte Mrs. Lemesurier. »Es ist nicht einmal geschwollen. Wir tun gleich Salmiakgeist darauf.«
»Laß mich mal sehen, kleiner Mann«, meinte Poirot. »Wo hat dich die Biene denn gestochen?«
»Hier am Hals«, erklärte Ronald wichtig. »Aber es tut nicht weh. Vater sagte: ›Halt mal still – da sitzt ’ne Biene auf deinem Hals.‹ Ich habe fein stillgehalten, und Vater nahm sie fort, aber sie stach mich erst noch, obwohl es nicht richtig weh tat, es war wie ein Nadelstich, und ich
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