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Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories

Titel: Auch Pünktlichkeit kann töten: Crime Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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daran gedacht, ihn zu verlassen?«
    »Ich habe nicht die Absicht, ihm alles durchgehen zu lassen. Frauen sind heute nicht mehr die geknechteten Sklaven von früher, Monsieur Poirot.«
    »Madame, es freut mich, daß Sie den Schneid haben und sich behaupten wollen. Aber wenden wir uns praktischen Dingen zu. Fahren Sie noch heute nach Polgarwith zurück?«
    »Ja. Ich bin mit einem Ausflüglerzug gekommen. Um sechs Uhr heute früh ging’s los, und heute nachmittag um fünf Uhr fahren wir wieder zurück.«
    » Bien! Da ich augenblicklich nichts Wichtiges vorliegen habe, kann ich mich Ihrer Angelegenheit widmen. Ich werde morgen in Polgarwith sein. Mr. Hastings hier kann sich als einen entfernten Verwandten von Ihnen ausgeben, und ich bin sein exzentrischer ausländischer Freund. Inzwischen essen Sie bitte nur, was von Ihnen oder unter Ihren Augen zubereitet worden ist. Haben Sie ein zuverlässiges Mädchen?«
    »Jessie ist bestimmt ein sehr gutes Mädchen.«
    »Also dann bis morgen, Madame, und Kopf hoch!«
    Poirot begleitete die Dame hinaus und kehrte nachdenklich zu seinem Platz zurück. Bei aller Nachdenklichkeit übersah er jedoch nicht zwei winzige Strähnen, die die aufgeregten Finger der Dame aus der Federboa gezupft hatten. Er hob sie auf und warf sie in den Papierkorb.
    »Was halten Sie von dem Fall, Hastings?«
    »Wirklich eine scheußliche Angelegenheit.«
    »Ja, wenn der Verdacht der Dame begründet ist. Ist er aber begründet? Wehe dem Manne, der heutzutage eine Flasche Unkrautgift kauft! Seine Frau braucht nur Magenschmerzen zu haben und etwas hysterisch veranlagt zu sein – und schon ist der Teufel los!«
    »Glauben Sie nicht, daß etwas mehr dahintersteckt?«
    »Ah – voilà – ich weiß es nicht, Hastings. Aber der Fall interessiert mich – interessiert mich enorm, weil er nämlich so gar nichts Neues aufweist. Daher habe ich Hysterie angenommen. Und doch ist Mrs. Pengelley durchaus nicht der Typ einer hysterischen Frau. Ja, ich glaube beinahe, es spielt sich hier ein bitteres menschliches Drama ab, oder ich müßte mich sehr irren. Was für Gefühle hegt Mrs. Pengelley wohl für ihren Mann?«
    »Nach meiner Ansicht kämpfen Furcht und Treue miteinander.«
    »Normalerweise wird keine Frau ihren Mann anklagen. Jeden anderen in der Welt, aber nicht den eigenen Mann. Sie glaubt an ihn und geht mit ihm durch dick und dünn.«
    »Die ›andere Frau‹ kompliziert natürlich den Fall.«
    »Ja, Liebe kann sich unter dem Einfluß von Eifersucht in Haß verwandeln. Aber Haß würde sie zur Polizei treiben – nicht zu mir. Sie würde nach einem Skandal lechzen. Nein, nein, wir wollen mal unsere kleinen grauen Zellen exerzieren. Warum kam sie zu mir? Wollte sie ihren Verdacht bestätigt oder beseitigt haben? Ah, hier ist etwas, das ich nicht verstehe – ein unbekannter Faktor. Ist unsere Mrs. Pengelley etwa eine vorzügliche Schauspielerin? Nein, sie war natürlich – ich möchte fast schwören, daß sie natürlich war, und deshalb bin ich interessiert. Sehen Sie, bitte, im Fahrplan nach, wann Züge nach Polgarwith gehen.«

    Der beste Tageszug fuhr um ein Uhr fünfzig von Paddington und kam kurz nach sieben Uhr in Polgarwith an. Die Reise war so eintönig, daß ich dauernd ein Nickerchen machte, und ich war noch ganz verschlafen, als wir auf dem öden kleinen Bahnhof von Polgarwith ausstiegen. Wir brachten unser Gepäck in das Duchy-Hotel, und nach einem kleinen Imbiß schlug Poirot vor, meiner angeblichen Kusine einen Abendbesuch abzustatten.
    Das Haus der Pengelleys lag hinter einem hübschen Vorgarten, der ein wenig an einen altmodischen Bauerngarten erinnerte. Die Abendbrise trug einen süßen Duft von Nelken und Reseda zu uns herüber. Es schien unmöglich, Mordgedanken mit diesem altvaterischen Idyll zu verbinden. Poirot klingelte und setzte den Klopfer in Bewegung. Es rührte sich nichts, und er klingelte nochmals. Diesmal erschien nach einer kleinen Pause ein unordentliches Dienstmädchen an der Tür. Sie hatte rotumränderte Augen und zog heftig die Nase hoch.
    »Wir möchten zu Mrs. Pengelley«, erklärte Poirot, »dürfen wir eintreten?«
    Das Mädchen starrte uns an. Dann platzte sie heraus:
    »Ja, haben Sie es denn noch nicht gehört? Sie ist doch tot. Starb heute abend – ungefähr vor einer halben Stunde.«
    Wir waren zunächst sprachlos. Schließlich fragte ich:
    »Woran ist sie denn gestorben?«
    »Da sind welche, die das sagen könnten.« Sie warf einen hastigen Blick über die Schulter.

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