Auch Santiago hatte einen Hund
Käse, Wein (die „heilige Dreifaltigkeit des Pilgers“) und Tomaten eindecke, bestätigt meine Vermutung, dass auf dem bretonischen Jakobsweg überhaupt nur wenige Pilger unterwegs sind. Er hat den letzten vor drei Monaten gesehen.
Ruine der Templerkommende in Clisson
Bei der Kastanie angelangt überwältigt mich die Erinnerung an Ajiz. Er war so ein getreuer Reisegefährte, mit ihm war ich nie allein -das merke ich jetzt, ohne ihn, sehr deutlich, sogar schmerzhaft. Fast spüre ich ihn neben mir, wie ich nach der Jause ausgebreitet auf der Matte im Schatten des grünen Daches meiner Gastgeberin eindöse. So gestärkt, aber wehmütig schultere ich nach der Siesta meinen Rucksack und werfe mich in die Hitze des Nachmittags. Die letzten eineinhalb Stunden sind wieder eine Qual. Ab CUSSON - früher eine wichtige Station auf dem Weg der Pilger, Jakobskirche und Magdalenenhospiz zeugen heute noch davon - geht es trotz schweren Rucksacks (Provianteinkauf im Supermarkt) besser; das Wissen ums nahe Ziel lässt mich meine Reserven mobilisieren. Dort stoße ich zwar auf das Gîte am Ufer der Sèvre, aber auch auf eine herbe Enttäuschung: Es ist kein Platz in der Herberge (woher kommt mir das bekannt vor?)! Junge Leute aus dem Ort haben es für ein Geburtstagsfest belegt, von den günstigen Preisen profitierend. Also sind es nicht einmal Wanderer oder Pilger, für welche diese Selbstversorgerhäuser eigentlich gedacht sind, die mir den Schlafplatz wegnehmen! Zorn und Verzweiflung mischen sich, ich bin außer mir. Derart, dass sich der Wirt des Gîte meiner erbarmt: Ich darf das Zelt direkt am Ufer neben dem Gebäude aufstellen sowie Klo und Dusche im Parterre benützen. Na, wenigstens etwas.
Aufgelassen, geschlossen oder ausgebucht: die Herbergssuche auf dieser Reise gestaltet sich schwierig; der Unterschied zur Situation im Süden Frankreichs und in Spanien ist wie der zwischen Tag und Nacht. Die im Bau befindliche Herberge bei Jean-Yves und Yolande in LA BRAYETTE ist da ein Hoffnungsstrahl. Vielleicht braucht es erst den Weg und die ihn begehenden Pilger, damit in der Folge auch die Herbergen entstehen.
Diesen Tag widme ich Thierry und Elisabeth: Ich wünsche euch, dass ihr eure Ehe wieder in den Griff bekommt!
Ajiz der Belesene
Ganz besonders beliebt war Ajiz bei Kindern: Seine Sanftmut, seine Geduld und seine Schönheit machten ihn zum idealen Streichel- und Kuscheltier für sie. Auch sprachen sie ihm eine hohe Intelligenz zu, einige von ihnen waren zeit seines Lebens sogar felsenfest davon überzeugt, dass er lesen könne!
In St. Sigmund, auf 1500 m Seehöhe, hatten wir immer viel Schnee; man könnte dort den Winter aufgrund seiner Länge und Strenge ohne Übertreibung als Hauptjahreszeit bezeichnen. Für Ajiz und mich wurden die täglichen Wanderungen auf die Gleirschalm zur lieben Gewohnheit, Ajiz kannte bald jeden Stein und jeden Baum auf der Strecke. Es gab einen Winter- und einen Sommerweg, wobei letzterer im Winter zur Rodelbahn wurde, auf der das Gehen aus Sicherheitsgründen nicht gestattet war. Zur Winterszeit ging’s also auf dem einen hinauf, mit Ajiz als Rodelzieher, versehen mit einem roten Brustgeschirr (sehr fesche Kombination, mit dem Schwarz-Weiß seines Felles!); und dann auf der Rodelbahn mit Vollgas zurück ins Tal, Ajiz im Galopp hinterher.
Beide hatten wir riesigen Spaß an unseren gemeinsamen Ausflügen, die vor allem das Band der Freundschaft zwischen uns enger knüpften und so nebenbei auch unsere Kondition stärkten. Karelische Bärenhunde haben viel Kraft, die sie auch loswerden müssen; und bei mir ging und geht es um Kontrolle bzw. Eindämmung meines Leibesumfanges. An den Wochenenden besuchten uns oft Freunde aus Innsbruck mit ihren Kindern, besonders wenn die Schneelage im Inntal Rodelausflüge nicht zuließ, was in den letzten Jahren immer häufiger der Fall war. Die bei solchen Ausflügen übliche Raunzerei wich in dem Fall einem freudigen „Dürfen wir wieder mit Ajiz...?“ Er war gutmütig, er war schön, er zog die Rodel. (Wohlgemerkt bloß eine. Wenn man ihm eine zweite Rodel anhängte, blieb er stur wie ein Esel stehen, obwohl seine Kraft leicht für zwei Rodeln gereicht hätte.) Ja, und Ajiz konnte lesen!
An einem Samstagvormittag waren wir wieder einmal mit einer Gruppe von Eltern mit ihren Kindern zur Gleirschalm unterwegs. Ajiz wie gewohnt einige Meter vor uns, mit meiner Rodel im Schlepptau. Dort, wo sich auf der Strecke Winter- und Sommerweg
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