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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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in Schwarzenberg, in dem wir die Nacht zuvor verbracht hatten. Ich fühlte mich „hundsmiserabel“, war der Verzweiflung nahe; doch immer noch stellte ich das Prinzip „leinenlos“ nicht in Frage. War es Dummheit, Sturheit, tiefe Überzeugung, mangelnde Erfahrung? Würde ich heute genauso handeln? Eher schon, denn erstens sind alle diese Abenteuer gut ausgegangen, zweitens gibt mir das Resultat recht.
    Der Pensionsbesitzer war ausgesprochen nett. Er nahm nicht nur glaubhaft Anteil an meinem Leiden und stellte mir bereitwillig sein Telefon zur Verfügung, er gab mir auch einen guten Tipp, den er von erfahrenen Jägern erfahren hatte. Diese würden, wenn ihr Hund im Trubel einer Jagd abhanden käme, ein Kleidungsstück an der Stelle deponieren, wo es passiert sei. Wenn dann irgendwann der Hund zurückkäme - und ein Hund fände immer zurück - würde ihm das Kleidungsstück seines Herrn sagen, dass er hier bis zu dessen Rückkehr warten müsse. Ich hätte alles unternommen, um Ajiz wiederzufinden, also nahm ich mein vom heutigen Marsch schön verschwitztes Hemd (wenn etwas nach mir roch, dann dieses!) und ging damit zurück zum Ort des Geschehens, um es dort zu hinterlegen. Am Rückweg zur Pension rief ich immer wieder laut nach Ajiz, doch kein schwarzer Schatten kam auf den mondbeschienenen Feldern auf mich zugerannt. Wieder in der Pension riet mir der freundliche Wirt, ich solle doch noch einmal nach Ajiz pfeifen und rufen, man könne ja nie wissen, vielleicht sei er in der Nähe. Ich solle die Hoffnung nicht aufgeben. Ohne große Überzeugung folgte ich seinem Rat, als meine Freunde, übers ganze Gesicht grinsend, die Tür zur Küche öffneten - und Ajiz herauskam!
    Die Besitzer des Hotels in Schwarzenberg hatten ihn mit ihrem Auto zur Pension gebracht, da sie ja von meinem Anruf vom Nachmittag wussten, wo wir waren. Am Telefon hatten sie mir zwar wahrheitsgemäß gesagt, sie hätten Ajiz nicht gesehen, aber tatsächlich war er anscheinend von der Pferdekoppel sofort auf dem kürzesten Weg zurück zum Hotel gelaufen und unbemerkt in den ersten Stock gelangt. Dort hatte er sich auf den Fußabstreifer vor dem Zimmer gelegt, in dem wir die Nacht vorher verbracht hatten, um auf mich zu warten. Denn nach seiner Erfahrung musste ich dorthin zurückkehren, wir hatten bisher ja nur eintägige Wanderungen unternommen. Erst die Gäste, die nach uns das Zimmer gemietet hatten, fanden ihn dort vor, als sie zu Bett gehen wollten. Unglaublich! Er wollte zurück zu mir, und für ihn war das Hotel in Schwarzenberg der Fixpunkt, nicht die Stelle im Wald, wo es passiert war. Er wusste genau, wo das war, fand ohne Probleme zurück, trotz der beträchtlichen Entfernung, die wir im Laufe des Vormittags schon zurückgelegt hatten. Meine Bewunderung für die Fähigkeiten meines Hundes stieg weiter an, die Dankbarkeit gegenüber den Hotelbesitzern kannte keine Grenzen. Ich hatte meinen Hund wieder, wohlbehalten, ich war selig!
    Wir setzten unsere Wanderung am nächsten Morgen fort, sie wurde dann noch so schön, wie wir es erhofft hatten, und verlief ohne jeglichen Zwischenfall. Wir hatten unser Quantum Wermut ja gleich am ersten Tag abbekommen. Und Ajiz? War äußerst zufrieden, wieder bei seinem „Rudel“ zu sein; weiterhin leinenlos, aber von jetzt an stets an meiner Seite.
     

 
    3. Kapitel
     

    kurze Rast vor Les Loges an der Sèvre
     

Die Mühen der Ebene
     

13
    SAMSTAG, 3. JULI
    LE VERTOU - GÉTIGNE
     
    Wieder eine Etappe über 30 Kilometer: Ich muss mich nach den vorhandenen Übernachtungsmöglichkeiten richten. Für die Mittagsrast peile ich einen ganz besonderen Platz an, eine große Kastanie unweit des Sèvre-Ufers. Dort muss ich unbedingt meine Siesta halten, auch wenn es nach meiner Schätzung noch ungefähr vier Stunden (ohne Trinkpause) bis dorthin ist, für einen Halbtag ein ganz ordentliches Stück. Der Platz wird für mich immer mit der Erinnerung an Ajiz verbunden sein, denn unter der Kastanie haben wir vor einem Jahr übernachtet. Ich nehme also meine Beine unter die Arme und „mache Kilometer“ - wunderschöne, unvergessliche Kilometer auf den alten Wegen an der Sèvre oder durch die Weingärten des Muscadet-Anbaugebietes. (Der Muscadet, ein trockener Weißwein, ist der einzige in der Bretagne angebaute Wein.) Auch sehr einsame Kilometer sind es, denn obwohl Samstag ist, treffe ich auf keinen Menschen, geschweige denn andere Pilger. Der Lebensmittelhändler in SAINT-FIACRE, bei dem ich mich mit Brot,

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