Auch Santiago hatte einen Hund
die im Freien schlafen, ihr Zelt am Wegrand oder - wie ich eben jetzt - mitten im Dorf aufstellen. Sie nehmen dich zwar wahr, aber keiner fragt nach einer Genehmigung oder ist sonst lästig. Das gefällt mir, auch deshalb reise ich so gerne in diesem Land.
Morgen bin ich in POITIERS!
Das Stinktier
Bei Ajiz entdeckte ich noch andere Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick manchmal unerklärlich und sogar widersinnig erschienen, sich jedoch nach genauerem Hinsehen als vom Wolf geerbt entpuppten, für den sie überlebensnotwendig waren. In seinem Buch So kam der Mensch auf den Hund spricht Konrad Lorenz z. B. vom „Mäuslsprung“, wenn sein Hund plötzlich mit allen vieren in die Luft sprang, um dann, mit der Schnauze zwischen den Vorderpfoten, senkrecht im Sturzflug auf eine Maus, eine Grille, einen Maulwurf oder sonst ein kleines Tier hinabzustoßen. Entgegen der landläufigen Meinung, derzufolge ein Wolf sich nur von größerem (vom Hasen aufwärts) gejagtem Wild oder von Aas ernährt, ist er durchaus in der Lage, sich sogar über längere Zeiträume - vor allem im Winter - auch mit Beeren (nicht ä!) und eben Mäusen über die Runden zu bringen. Gerade für vom Rudel verstoßene, ältere Wölfe, die ihren Lebensabend als Einzelgänger verbringen (müssen), ist diese „Jagdtechnik“ oft lebensrettend, da größeres Wild nur gemeinsam im Verband erlegt werden kann. Aber wenn Ajiz plötzlich, für mich vollkommen unmotiviert, senkrecht in die Höhe stieg und dann mit Schnauze und Vorderpfoten im Gras verschwand, sah das so komisch aus, dass ich immer in schallendes Gelächter ausbrach. Was Ajiz seinerseits überhaupt nicht lustig fand und mit Gott sei Dank nur kurzfristigem Beleidigtsein quittierte.
Eine andere vom Wolf ererbte Verhaltensweise war da weniger amüsant, vielmehr grauslig und ekelerregend. Vor allem, als er noch jünger war, wälzte er sich mit Genuss in Kot (Kuhfladen liebte er besonders) oder auch Aas. Er tat dies mit immer demselben Bewegungsablauf, den ich mit der Zeit schon im Ansatz zu erkennen lernte, was mir ermöglichte, Ajiz zu stoppen, bevor das Malheur geschah. Er knickte dazu langsam mit dem rechten Vorderbein ein, senkte sich zuerst mit der rechten Schulter in den Kot, und „panierte“ in der Folge, ausgehend von dort, den Rücken bis zurück zum Hinterteil mit der übelriechenden Substanz. Lust am Stinken kann es nicht sein, dafür ist die Nase des Hundes zu empfindlich, woher kommt also diese (Un-)Sitte? Nun, auch hier handelt es sich um Jagdverhalten. Bei der Jagd auf größeres Wild (Elch, Rentier usw.), das - vor allem auf der Flucht - schneller laufen kann als der Wolf und noch dazu mit einer unwahrscheinlich feinen Witterung ausgestattet ist, muss der Wolf in Sprungdistanz kommen, bevor es ihn wittert und die Flucht ergreift. Also was tut er? Er greift zu einer List und überdeckt seinen Körpergeruch mit einem noch stärkeren Duft, der vom Wild auf keinen Fall mit ihm assoziiert wird, in der Natur aber häufig vorkommt. Eben Kot und Aas.
Oft kam Ajiz von seinen Streifzügen auf diese Art „getarnt“ zurück. Die „Strafe“ - richtig strafen war da völlig sinnlos, er folgte ja nur seinem Instinkt - war sehr einfach und doch höchst wirkungsvoll. Sie bestand aus einem Vollbad, was er hasste. Vielleicht habe ich ihm diese Unart so abgewöhnt?
Auch auf diesem Gebiet konnte Ajiz im Übrigen mit einer Rekordleistung aufwarten, die mir unvergesslich in Erinnerung bleiben wird. Über mehrere Jahre war ich so etwas wie ein akademischer Aushilfsgärtner für eine gute Freundin, die Baronesse Theresa Kripp aus Absam. Sie lebt im jahrhundertealten Ansitz ihrer Familie, der inmitten eines prächtigen, riesigen Gartens, eigentlich Parks, steht; und der sofort verwildert, wenn man ihn nicht in Schuss hält, wofür mich Theresa in regelmäßigen Abständen zu Hilfe rief. Für ihr fortgeschrittenes Alter ist sie zwar noch erstaunlich rüstig, aber meine zwei starken Arme waren ihr immer willkommen. Mit Hunden kann sie zwar nicht viel anfangen, Ajiz hatte sich jedoch im Laufe der Jahre so etwas wie ihre Zuneigung erworben, und sie tolerierte seine Gegenwart sogar im Haus. (Vielleicht habe ich sie da erpresst, denn sie konnte davon ausgehen, dass ich andernfalls nicht gekommen wäre.)
Während ich im Park arbeitete, nützte Ajiz natürlich die Größe des Anwesens für seine Streifzüge und schaute nur hin und wieder bei mir vorbei, um sich meiner Anwesenheit zu
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