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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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vergewissern. So fiel es mir gar nicht auf, dass er einmal länger als üblich ausblieb. Als er sich dann doch wieder zu mir gesellte, bemerkte ich erst nach einer Weile, dass sich ein penetranter Gestank nach Mist um nichts in der Welt verflüchtigen wollte und dass die Quelle dieses üblen Geruchs mein Hund war. Da sah ich näher hin und bemerkte, dass seine sonst blütenweiße Brust, ebenso sein Bauch, einen intensiven, gelb-braunen Stich hatten und auch sein schwarzer Rücken feucht schimmerte. Sofort verstand ich, was passiert war. Jemand hatte das Eingangstor zum Park offen gelassen, und Ajiz hatte diese einmalige Gelegenheit, seinen Aktionsradius beträchtlich zu erweitern, natürlich nicht ungenützt verstreichen lassen. Dabei war er auf den großen Misthaufen des Bauernhofs oberhalb des Kripp’schen Anwesens gestoßen und hatte sich, alleine, frei und unbeaufsichtigt (ein Traum!) nach Herzenslust und mit Genuss in der Gülle, d. h. in dem schwarzen, flüssigen Mistkonzentrat, das sich am Boden der Mistgrube sammelt, gewälzt; so lange, bis er sich eine olfaktorische „Ganzkörperpanier“ zugelegt hatte. Mein Arbeitstag war damit beendet, und die folgende halbe Stunde verbrachte Ajiz unter dem fließenden, eiskalten Wasser des Hofbrunnens - „Strafe“ genug für ihn. Erst nach diesen 30 Minuten bekam das Wasser, das an seinem Fell herunterfloss, eine langsam in Richtung hellgelb und matt-weiß tendierende Farbe. Für eine Weile hatte Ajiz nachher noch striktes Hausverbot bei Theresa, denn lange hielt sich eine zarte Ahnung von Misthaufen in seinem extrem dichten Fell.
     
    20
    SAMSTAG, 10. JULI
    LAVAUSSEAU - POITIERS
     
    Nach einer kalten und nassen Nacht - im Morgengrauen hatte ich aufgrund der niedrigen Außentemperaturen „Indoor-Regen“ - weckt mich strahlender Sonnenschein. Ich freu mich, traue dem Frieden aber noch lange nicht. Während des Frühstücks breite ich die Zeltplane zum Trocknen aus, dann Morgenwäsche, Wasserflaschen nachfüllen (ich habe einen Wasserhahn entdeckt), und weiter geht’s. Am späten Nachmittag möchte ich in der Jugendherberge von POITIERS sein, dort werde ich auf Ute stoßen, die mit dem Zug aus PARIS eintrifft.
    Am Ortsausgang komme ich noch einmal am Santerre-Haus vorbei. Der arme Stan! Einer spontanen Eingebung folgend gehe ich zur Rückseite des Gebäudes, wo sein Zwinger steht, und leiste ihm noch eine Weile Gesellschaft. Von der Familie ist anscheinend noch niemand wach, umso besser. Er erkennt mich sofort, wedelt freudig erregt mit dem Schwanz und drückt seine Schnauze gegen meine Handfläche.

    Rast in Montreuil-Bonnin
     
    Tag und Nacht allein, eingesperrt im Zwinger, ohne menschliche Zuwendung, ohne Zärtlichkeit, inmitten seines Kots - mir tut er so leid! Mit Tränen in den Augen verabschiede ich mich von ihm, nur mit Mühe habe ich der Versuchung widerstanden, ihn einfach mitzunehmen. Lange höre ich noch (oder bilde ich es mir nur ein?), wie er mir traurig, einsam und sehnsüchtig nachbellt. Sch....!
    Hochgestimmt vom wunderschönen, klaren, sonnigen Wetter und beflügelt von der Nähe Poitiers wie ein Pferd, das den Stall wittert, komme ich gut voran. Die gewohnte erste kurze Pause findet heute bei einem café au lait in MONTREUIL-BONNIN statt. Hier ließ Richard Löwenherz im 12. Jahrhundert eine königliche Münzstätte errichten; die mächtige Burg, hoch über dem Ort thronend, erinnert noch an ihren berühmten Herrscher. Die Mittagsrast unter meiner obligaten Eiche - bald nach der Zisterzienserabtei Le Pin - wird wieder auf Geheiß des Himmels abgekürzt, aber der Regen stört mich schon gar nicht mehr. Ich will ja eh weiter, POITIERS ruft! Die letzten Kilometer, fast bis ins Zentrum der Stadt, folge ich den Mäandern des Flüsschens Boivre, an dessen Ufern die Römer vor 2000 Jahren ihre Provinzhauptstadt LEMONUM gründeten, aus der das heutige POITIERS hervorging. Ein wunderbares Wandern, es erinnert mich an die unvergesslichen Stunden, die ich auf dem Treppelweg der Rigole in der Nord-Bretagne verbracht habe. Wie weit das schon zurückliegt!
    Knapp vor 18 Uhr treffe ich bei der Jugendherberge ein; gerade als ich aus dem kleinen Supermarkt trete, wo ich noch Proviant für morgen (doppelte Ration, ab morgen sind wir zu zweit, ich freu mich!) eingekauft habe, sehe ich Ute mit Stock, Hut und Rucksack von der Busstation heraufkommen. Perfektes Timing! Das Wiedersehen und den Beginn unserer gemeinsamen Pilgerreise feiern wir standesgemäß: Wir

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