Auch Santiago hatte einen Hund
Rucksack sei, fragt sie. Den habe ich gleich beim Gästehaus gelassen, damit ich ihn nicht umsonst mit mir herumschleppe. Oh, das täte ihr leid, lacht sie, denn den müsse ich jetzt doch holen. Pilger würden im Gästetrakt des Klosters untergebracht, das sei viel bequemer, auch seien Pilger Gäste des Hauses, sie würden mit den anderen -zahlenden - Gästen essen. (Auch La Bonne Espérance wird als Exerzitien- und Bildungshaus geführt.) Schwester Noelle zeigt mir vorher noch mein Zimmer. Ich bin sprachlos: Ein Zimmer, das jedem Hotel zur Ehre gereichen würde - hell, sauber, modern, frisch überzogenes Bett, Badezimmer - steht für mich bereit. Und als sei dies noch nicht genug, fragt sie mich, bevor sie sich verabschiedet, ob ich Schmutzwäsche hätte. Die Frage scheint mir etwas absurd, natürlich habe ich. Ist ein Schimmel weiß? Gut, dann möge ich sie, wenn ich mit dem Rucksack zurückkomme, vor die Tür legen, in der Früh bekäme ich sie gewaschen und getrocknet zurück. Ja, und das Abendessen wäre in zehn Minuten, aber ich würde sicher lieber duschen und mich ein bisschen ausruhen. Sie würden das Essen für mich warm halten und so könne ich essen, wann ich wolle. Ich bin überwältigt, niemals hätte ich mir so einen Empfang erwartet! Trappistinnen habe ich mir ernst, schweigend, verschlossen vorgestellt, die Herzlichkeit und Fröhlichkeit, die hier herrscht, vor allem aber die Offenheit gegenüber Gästen von außen sind eine totale Überraschung für mich. Wieder um ein Vorurteil ärmer und um eine wunderbare Erfahrung reicher! Nach der Dusche komme ich gerade rechtzeitig zur Abendandacht (Komplet), an der ich unbedingt und trotz knurrenden Magens teilnehmen möchte, schon allein, um für diese Aufnahme zu danken. Auch ECHOURGNAC scheint keine Nachwuchsprobleme zu haben, ich zähle in der Kirche 25 Nonnen, darunter viele junge. Die übrigens sehr gut singen. Die Andacht dauert hier nicht so lange wie in MAUMONT, auch dafür bin ich dankbar, denn jetzt würde ich schon gerne was essen. Das Abendessen lässt nichts zu wünschen übrig, leider haben die anderen Gäste schon gegessen, so muss ich auf angeregte Tischgespräche, wie sie mir doch fehlen, verzichten.
Ein winziger Wermutstropfen sorgt dafür, dass ich nicht vergesse, immer noch auf Erden zu sein und nicht im Himmel. Er wird vom einzigen männlichen Mitglied der Gemeinschaft gespendet, einem Pater, den die Schwestern zur täglichen Feier der Messe benötigen. (Wieder so ein Anachronismus - wann sieht der Vatikan endlich ein, dass wir nicht mehr im Mittelalter leben?) Er löchert mich mit Fragen, die jedoch nicht Neugier und Interesse an meiner Pilgerreise entspringen, sondern eher einem gewissen Misstrauen. Ob ich wohl kein Schwindler bin, der, um in den Genuss der Gastfreundschaft zu kommen, sich bloß als Pilger ausgibt, in Wahrheit jedoch „nur“ Tourist oder Landstreicher ist? „Wie weit gehst du noch, bist du alles zu Fuß gegangen, hast du nie Autostopp gemacht?“ Gott sei Dank fragt er nicht, ob ich mit dem Zug gefahren bin, sonst müsste ich lügen oder wäre als Schwindler entlarvt! Vielleicht tue ich ihm Unrecht, und er ist nur ungeschickt, meint es aber gut. Ich bin jedenfalls unangenehm berührt, auf all meinen Pilgerreisen bin ich noch nie mit so einer eigenartigen Haltung konfrontiert worden. Jetzt bin ich schon seit einem Monat unterwegs, das reicht doch, oder? Ist ja eh schon länger als der spanische Camino von den Pyrenäen weg. Und ist es wirklich so wichtig, bis Santiago zu gelangen? Für die offiziellen kirchlichen Stellen schon, das weiß ich, aber grundsätzlich? Für mich ganz sicher nicht, denn das würde ja bedeuten, dass jemand, der, sagen wir, schon 1000 Kilometer gepilgert ist, aber noch vor Santiago aufhört, aus welchen Gründen auch immer, nicht als Pilger gilt. Eigenartigerweise wird jedoch jener, der nur die letzten 100 Kilometer bis Santiago zu Fuß zurückgelegt hat, offiziell als Pilger anerkannt. Da kann doch etwas nicht stimmen! Ich bin nur froh, dass diese absurde Regel für mich so was von irrelevant ist. Sicher errege ich mit dieser Einstellung bei vielen Missfallen, aber Pilgern ist für mich nicht einmal an ein bestimmtes Ziel gebunden (wie z. B. Santiago, Rom oder Jerusalem), und schon gar nicht an eine bestimmte Religionszugehörigkeit. Ich meine, ein Ziel muss man schon haben, es ist Motiv und Motor zu-gleich, besonders bei widrigen äußeren und inneren Umständen auch der Anstoß, den ich
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