Auch Santiago hatte einen Hund
weiter böse, konnte er doch nicht wissen, dass sich Ajiz als karelischer Bärenhund erst bei beißender Kälte richtig wohl fühlte und bei manchen Schitouren als Einziger immer darauf bestand, wirklich auf dem Gipfel zu rasten, zusammengerollt, mit dem Schwanz über die Schnauze gelegt, und so der oft eisigen Kälte trotzend, nicht selten 15 bis 20 Grad minus.
In Innsbruck gibt es ein Kino, das von einem Verein betrieben wird und das sich durch ein dichtes Programm von ausgezeichneten Filmen abseits des Hollywood-Mainstreams sowie ein ausnehmend freundliches und entgegenkommendes Personal auszeichnet. Seit seiner Gründung bin ich dort Stammkunde, und da sich, wie eingangs erwähnt, mein Laster - wie hoffentlich auch ich selbst - weiterentwickelt hatte, befriedigte ich mein Bedürfnis nach guten Filmen zu mindestens 90% im Cinematograph. Da ich dem Verein zudem während seines jährlich stattfmdenden Filmfestivals immer wieder als Dolmetscher für seine spanisch- und französischsprachigen Gäste aus Lateinamerika bzw. Afrika ausgeholfen hatte, war ich seinen Mitarbeitern kein Unbekannter.
Eines Abends betrat ich - draußen regnete es in Strömen -wieder einmal das Kinofoyer, als mich eine Mitarbeiterin und allem Anschein nach Hundeliebhaberin fragte, wo ich denn Ajiz gelassen habe. „Na wo denn, im Auto!“, war meine Antwort. Ihre Reaktion war vollkommen unerwartet und sollte die kulturelle und intellektuelle Entwicklung von Ajiz nachhaltig prägen. Von diesem Abend an bis zu seinem Lebensende sah sich Ajiz nämlich alle Filme im Cinematograph mit mir gemeinsam an! Später erfuhr ich, dass ich nicht der einzige Hundebesitzer war, dem dieses Privileg zuteil wurde, sondern Freunde des Cinematograph, wenn ihr Hund friedlich, sauber und wohlerzogen war, diesen grundsätzlich ins Kino mitnehmen durften - gratis! Ein Grund mehr, vom Cinematograph zu schwärmen und ihn noch öfter aufzusuchen — und hiermit auch weiterzuempfehlen.
Es gab im Laufe der Jahre, in denen sich Ajiz wahrscheinlich Hunderte von Filmen ansehen durfte (und musste, schließlich hatte ja ich ohne ihn zu fragen die Filme ausgesucht), nicht das geringste Problem. Auch nicht mit anderen Kinobesuchern, welche die Anwesenheit eines Hundes friedlich und gelassen zur Kenntnis nahmen. Ob Ajiz alle Filme gefallen haben, kann ich nicht beurteilen, dass er unterschiedlich auf die verschiedenen Filme reagierte, fiel mir jedoch auf. Manchmal schlief er während der gesamten Vorführung (auch ich schlafe hin und wieder ein, muss ich gestehen), bei anderen Filmen blieb er wach und wurde zuweilen sogar unruhig. Was davon Zeichen des Gefallens oder Missfallens waren, habe ich nie herausgefunden. Dass Ajiz das Geschehen auf der Leinwand aber wirklich wahrnahm, weiß ich definitiv; nicht nur ich, sondern das gesamte Publikum im Saal wurde einmal Zeuge davon. Vorausschicken muss ich noch, dass mir Musik sogar noch wichtiger ist als die Filmkunst, dass Ajiz also auch diesbezüglich sehr viel mit(an)hören durfte - oder auch hier: musste -, zu Hause und auf unseren vielen Reisen im Auto.
Einer der eindrucksvollsten Musikfilme (hier treffen beide meiner Leidenschaften aufeinander!), die ich jemals gesehen habe, ist jener vom Abschiedskonzert der Gruppe, die 16 Jahre lang mit Bob Dylan auf Tournee ging: The Band. Vor ihrer Auflösung wurden noch einmal alle Freunde versammelt, die sie während dieser langen Zeit ein Stück begleitet (im doppelten Sinn) hatten: Die Teilnehmerliste liest sich wie das Who is Who der Rock- und Bluesszene der 80er-Jahre. Martin Scorsese hat dieses Konzert meisterhaft in Bilder umgesetzt, der Film heißt sinnigerweise The last Waltz (Neil Diamond interpretiert den Song im Film). Schon zu Beginn fiel mir auf, dass Ajiz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht nur wach blieb, sondern dem Geschehen auf der Leinwand konzentriert folgte. Offensichtlich sprach ihn die Musik positiv an. Innerlich gratulierte ich ihm zu seinem guten Geschmack und versank selbst in Erinnerungen an jene Jahre, when we were young. Schluss- und Höhepunkt des Films ist der Auftritt von Bob Dylan selbst, der mit The Band groß und berühmt geworden war. Als For ever young (!!!) erklang, richtete sich Ajiz plötzlich auf die Hinterpfoten auf, nahm seine Herstellung (Sitzhaltung, Schnauze in die Luft gestreckt) ein - und heulte herzzerreißend mit! Zu meiner Erleichterung und Überraschung nahm niemand im Publikum diese ungewohnte Begleitstimme übel, im Gegenteil,
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