Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Futterkiste. So schnell ist sie dann auch. Und hat ihren Schädel drin, bevor ich die Klappe wieder zukriege.
Ich versuche, sie wegzuschieben. Glorreiche Idee. Ihr einen Klaps geben. Ja, sehr gut.
Den Deckel der Futterkiste auf ihren Kopf klopfen. Keine Reaktion.
Ich durchlebe ein Déjà-Vu.
»Sel- MA!!«
Ich werfe mich ohne Vorwarnung gegen ihre Schulter. Ich ramme meine Ellbogen gegen ihre Brust, gegen ihren Hals. Ich stemme mich gegen die Wand und schiebe die Kuh weg von der Futterkiste. Das ist meine Futterkiste. Solang ich hier auf dieser Alm bin, habe ich – und nur ich allein – Zugang zu dieser Futterkiste. Ist das klar!?
Und weil ich es gleichzeitig fertiggebracht habe, einen halben Eimer voll Kraftfutter aus der Kiste zu schaufeln, lässt sie sich wegschieben, stürmt zu ihrem Platz vor der Zwischenwand und reißt mir den Eimer aus der Hand. Her damit!
»Fressen ist nicht alles, Selma«, sage ich, während ich sie anhänge. »Du bist zu schwer, weißt du das? Nimm ein bisschen ab.«
Sie schluckt ihren letzten Bissen, glotzt mich gierig an und kickt mir den Eimer vor die Füße. Fressen, ist alles, was sie denkt. Okay. Ich geb nach. So leicht kann das Leben sein, mampft sie.
Ich hol den Melkeimer.
Euter putzen, melken.
Bsch-bsch-bsch-bsch.
Zwei schmale Linien Schmerz ziehen sich von meinen Händen herauf, die Unterarme entlang.
»Koa Schmoiz, Selma«, gestehe ich ihr. Das wird ja nett. Aber leer muss sie werden, die Kuh. Allein schon für ihre Gesundheit.
Bsch-bsch-bsch-bsch.
Ich werd durchhalten.
In meinem Kopf klingen dazu schwere Stromgitarren. Das hilft. Meine Stirn macht ganz sacht Headbanging an Selmas gewaltigem Bauch.
Bsch-bsch-bschbschbschbsch ...
Acht Liter Milch in den weißen Plastikeimer.
The gods made heavy metal
And it’s never go-nna diieeeee!
Yeaaaah.
Ich löse die Kette von Selmas Hals und sage: »Danke. Jetz’ geh schön raus!«
Ich habe wichtige Dinge zu tun. Käse rühren, Melkzeug abspülen, Viecherliste schreiben.
Die Kuh muss raus.
Zehn Minuten. Verkehrsfunk, Nachrichten. Und Suspicious Minds. Elvis. Meine Arme verlieren die Spannung, wenn ich Elvis höre. Meine Füße haben keine Lust mehr, sich energisch gegen 850 Kilo Kuh zu stemmen. Ich lehne mich einfach an Selmas wuchtigen Körper und schau in die Richtung, in die sie auch schaut.
Ich sehe Nieselregen. Ein paar Koima, die quer über die Wiese grasen. Rauch aus Fionas Kamin. Hell und dunkel im grauen Himmel. Wind überm Risserkopf-Gipfel. Eine kleine Wolke im Kessel, die plötzlich Flügel ausbreitet wie ein Drache und im Sturzflug an der Felswand entlangsaust. Die Alm sieht jede Sekunde anders aus bei so einem Wetter. Ehe ich’s bemerke, kraule ich Selmas Schopf und versinke mit ihr in die Wolkenbilder.
»Siehst du«, hör ich von irgendwo. »Du hast schon Zeit.«
Ich hab schon Zeit.
Langsam und bedächtig setzt Selma ihre großen Hufe hinaus in den Schlamm. Ich warte, bis sie auch ihr Hinterteil zur Seite gedreht hat, und dann zieh ich – langsam – die Tür zu.
Zeit. Eins nach dem anderen.
Und dann – mache ich Käse.
Im Prinzip mache ich alles so, wie’s Charly mir aufgeschrieben hat.
Milch in Topf. Erwärmen.
Warten.
Kultur dazu.
Warten. Du hast schon Zeit ...
Lab dazu. Rühren, bremsen und ... warten.
Okay ... Ich kann inzwischen ja wenigstens schon mal meine Viecherliste schreiben. Selma, die Kuh. 33 Koima (23 zweijährige, zehn kleine). Elf Kälber. Macht insgesamt 45. Ich schreibe die Ohrmarkennummern aufsteigend untereinander. Die Älteste ganz oben, die Jüngste ganz unten. Meine Liste ist eines der wenigen Dinge, die ich penibelst und mitSystem handhabe. Mit den Viechern kann man absolut kein Chaos gebrauchen auf der Alm.
Die Temperatur im Topf ist bei 32°C angelangt. Aber noch kein Glibberzeug. Sieht immer noch aus wie Milch.
Das kann ja noch ewig dauern.
Ruhe hab ich allerdings keine, bevor ich nicht weiß, dass alle Viecher da sind, und alle gesund. Mit Ruhe käsen ist bestimmt viel besser. Denn »der Kaas g’spannt alles«, sagt der Charly. Also steig ich in die schweren Bergschuhe und drehe eine schnelle Runde.
Es kommt, wie es kommen muss – ich find sie nicht alle. Es bimmelt beim Brunnen, es bimmelt auf halber Höhe zum Hochlatsch, und dann bimmelt’s irgendwo oberhalb vom Mari-Steig. Und immer noch fehlen fünf. Fünf Kleine laut Liste. Vage kann ich mich an eine Gruppe erinnern, die ich in der Früh auf dem Weg zu Selma gesehen habe. Ich bin fast
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