Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
sie aus dem Fall wieder heraus und spielte den harten Macho, oder sie blieb drin und würde ihn außerordentlich verwirren. Das fühlte er schon jetzt mit Bestimmtheit. Und dann fährt sie zurück nach Good Old Germany und ich bleibe mit gebrochenem Herzen zurück. Na, Mike, nun übertreib mal nicht. Erstens bricht dein Herz nicht so schnell und zweitens weißt du noch gar nicht, ob sich da wirklich etwas entwickelt. Sie war ja doch ziemlich kühl gestern unter ihrer Freundlichkeit. Aber das Entweder geht schon gar nicht. Du brauchst sie nämlich, wenn du den Fall nicht weiter schleifen lassen willst.
Mit Schwung ö ffnete er seine Bürotür. Brüllte »Bill!« Und Bill kam. O Wunder, er der immer gern eine viertel bis halbe Stunde nach ihm hereintrottete, kam sofort und hatte die Akte in der Hand.
» Das war eine ganz schön lange Nacht, Chef, aber ich hoffe, du bist jetzt zufrieden. Hab noch mal nachgedacht, vielleicht hast du ja Recht und ich habe einen Fehler gemacht. Obwohl …«
Obwohl kein Sergeant seinen Detective Chef nannte, war es Bill Edwards’ Name für Mike Fuller. Heute fiel es Mike wieder besonders auf. Aber sein Zorn ließ keinen Raum für ein innerliches Lächeln.
» Nix ›obwohl‹, Bill. Es war ein Fehler. Aber jetzt will ich erst einmal sehen, was du hier hast. Und dann werden wir uns anstrengen. Und den Täter – egal ob Marc Snyder oder einen anderen – finden. Capice?«
Bill nickte erleichtert.
»Okay, ich bin dabei, Chef.«
» Das wollte ich hören. So, nun lass mich lesen. Und wird dieser Fred soundso um acht Uhr hier sein?«
» Ich bin gestern sogar noch höchstpersönlich bei ihm vorbeigefahren. Damit er keine Ausrede hat. Hab ihm gesagt, wir hätten noch einige Fragen.«
Gut. Und Bill Edwards schloss die Tü r, diesmal sogar leise. Zwanzig Minuten später saß Mike Fuller grübelnd an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt. Hier war ja alles schiefgelaufen. Wie sollten sie den Fall nur jetzt noch aufklären? Nach dem Protokoll war der Anruf um 22:08 Uhr eingegangen. Von Fred Masters, vom Anschluss der beiden Mordopfer aus. Er hatte den Tod gemeldet. Es hätte oben einen Streit gegeben, dann einen Schuss. Als er nach oben rannte und die halbe Treppe hinauf, war ein weiterer Schuss gefallen. Oben hatte er dann die beiden Toten entdeckt und die Polizei angerufen. Bill hatte dann wirklich nur Fotos beigelegt von den Toten und vom Tatort. Na, wenigstens die waren deutlich. Die junge Frau lag in einer Blutlache, der Schuss in den Kopf war grausam, da er auf einer Seite ihre Stirn weggerissen hatte. Sie lag seltsam verwinkelt im Badezimmer, die Duschabtrennung aus Glas war – wohl durch ihren Fall – zersplittert, die Scherben teilweise auf sie gefallen. Das lange, dunkle Haar bildete eine Aureole, die eine Hand schien im Fallen ins Leere gegriffen zu haben. Die andere lag unter ihr und war nicht zu sehen. Die Beine lagen angewinkelt, verbogen, verdreht. Die Augen drückten Entsetzen aus. Sie waren noch geöffnet, als die Fotos gemacht worden waren.
Wie immer, wenn er den Mord an einem jungen Menschen aufklä ren musste, erfasste ihn tiefes Bedauern um das genommene, nicht gelebte Leben. Seine Augen wanderten weiter zu dem Foto des jungen Mannes. Er lag halb auf dem Bett, rücklings, die Beine hingen angewinkelt herunter. Auch er lag in einer, wenn auch kleineren Blutlache, die in das Bett gesickert war. Der Schuss musste seitlich in den Brustkorb gegangen sein. Der Kopf – ein schöner Kopf, wohlproportioniert und mit üppigem Haar - lag etwas verdreht. Die Hände ausgestreckt.
Etwas in der Haltu ng war falsch. Falsch für die Hypothese der Selbsttötung. Zumindest mehr als fraglich. Nach Fullers Erfahrung hätte mindestens eine Hand anders liegen müssen, wenn er selbst abgedrückt hatte. Welches Drama hatte sich hier abgespielt? Die Obduktion würde mehr erbringen, Fragen beantworten. Nach den forensischen Untersuchungen waren nur Marcs Fingerabdrücke auf der Waffe. Verdeckten sie alte Abdrücke? Er machte sich eine Notiz.
Kurz vor acht. Er gin g hinüber zum Verhörraum. Bill würde Fred Masters hinbringen. Der Raum war schäbig und abweisend. Kalte grüne Farbe, die schon seit Jahren von den Wänden abblätterte. Ein großer Spiegel, von der anderen Seite als Fenster einzusehen, mit fleckigem Metallrahmen. Das Mikrophon nach draußen war dem Blick verborgen. Eine scheußliche, sehr helle Neonbeleuchtung vervollständigte die Hässlichkeit des Raums. Ein
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