Auf Befehl des Königs
seiner Rückkehr soll Orrick entscheiden, in welcher Form Lady Marguerites Botschaften an ihre Familie in Zukunft befördert werden."
Norwyn und Gerard gingen. Marguerite wartete auf eine Erklärung, warum Lady Constance sie aufgesucht hatte. War es möglich, dass Orrick seiner Mutter die Geschehnisse der letzten Nacht anvertraut hatte? Die Frau hatte sich zwar während der Reise als hilfsbereit erwiesen, aber Marguerite spürte den Unmut, die Feindseligkeit, welche sie ihr entgegenbrachte. Also beschloss sie, zum Angriff überzugehen.
"Danke für Eure Unterstützung. Ich finde es unerhört, dass diese Diener die Stirn hatten, mir die Bitte abzuschlagen, meine Briefe zustellen zu lassen."
Marguerite trat ans Fenster und setzte sich. Sie wies auf den Stuhl vor dem Frisiertisch und lud Orricks Mutter ein, gleichfalls Platz zu nehmen. Diese lehnte ihr Angebot mit einer abwehrenden Handbewegung ab, ohne auf Marguerites Entrüstung einzugehen.
"Bisher waren die Aufgaben der Burgherrin mir übertragen, doch dieses Recht steht nun Euch zu. Wenn Ihr wünscht, bin ich gerne behilflich, Euch in die Wirtschaftsführung einzuweisen, bis Ihr mit dem Haushalt auf Silloth vertraut seid. Wie Ihr seht, ist Norwyn noch neu in seinen Arbeitsbereichen und braucht selbst noch etwas Anleitung."
Verblüfft von diesem Angebot, dachte Marguerite fieberhaft nach. Falls sie mit Orrick verheiratet bleiben würde, lag es in ihrer Verantwortung, die Arbeiten auf der Burg zu beaufsichtigen und einzuteilen und sich um das Wohlergehen der Burgbewohner zu kümmern. Aber sie hatte nicht die Absicht, so lange zu bleiben, um diese Pflichten zu übernehmen.
"Ich bitte um Nachsicht, Mylady", begann sie. "Doch ich habe mich bisher nicht wirklich von den Anstrengungen der Reise erholt und ersuche Euch, mir noch ein paar Tage Zeit zu gewähren, ehe ich Euer Angebot annehme." Marguerite begegnete dem Blick ihrer Schwiegermutter gelassen. "Zunächst will ich mich ein wenig umsehen und eingewöhnen, bevor ich mich in der Lage sehe, den Anforderungen zu entsprechen, die Ihr, mein Gemahl und seine Leute an mich stellen."
Sie wusste nicht, ob Lady Constance ihren Worten Glauben schenkte. Sie nickte allerdings und wandte sich zum Gehen. Marguerite erhob sich. Ungeachtet ihrer persönlichen Abneigung gegen ihre Schwiegermutter war ihr tadelloses Benehmen von frühester Kindheit anerzogen worden. Gerade diese Höflichkeit hatte sie in vielen schwierigen und heiklen Situationen gerettet.
"Es ist ein schöner Tag", sagte Lady Constance und wies zum Fenster, durch das die Sonnenstrahlen fluteten. "Ihr solltet ihn nutzen. Ich schicke Euch Eure Zofe und den Diener Eures Gemahls herauf."
Marguerite machte ein fragendes Gesicht.
"Orrick gab Gerard Anweisung, Eurer Zofe Englisch beizubringen. Es ist einfacher, wenn er Euch durch die Burg führt und das Dorf zeigt, da er Eure und unsere Sprache spricht."
"Ich danke Euch, Lady Constance", entgegnete sie, beinahe ein wenig verlegen über das freundliche Entgegenkommen.
Kurz darauf trat Marguerite mit ihrem kleinen Gefolge auf den Burghof. Orricks Page gab ausführlich Auskunft über die Menschen, die ihnen begegneten, erklärte die einzelnen Wirtschaftsgebäude. Marguerite achtete nicht darauf, wie Gerard während der Besichtigung sich bemühte, die entsprechenden französischen Begriffe zu finden. Aber ihr entging nicht die Aufmerksamkeit, mit der Edmee dem jungen Mann auf dem Rundgang zuhörte.
Silloth machte den Eindruck, eine bestens geführte Burg zu sein, die Dorfbewohner wirkten gesund und zufrieden. Viele der Herrenhäuser und Schlösser, die Marguerite in der Normandie besucht hatte, waren längst nicht so gut in Schuss. Lord Orrick war offenbar ein verantwortungsvoller Lehnsherr, der auf seine Leute achtete und seinen Besitz hervorragend verwaltete.
Edmee und Gerard waren ins Gespräch vertieft, doch Marguerite hatte genug von ihrer neuen Umgebung gesehen und äußerte den Wunsch, sich in ihr Gemach zurückzuziehen. Sie wollte allein sein und entließ Edmee.
"Mylady, ich begleite Euch", erbot der Diener sich.
"Nein, Gerard. Es ist nicht weit zur Burg. Fahre getrost mit dem Englischunterricht für Edmee fort."
Edmee lächelte scheu, und Gerard errötete. Marguerite, die ahnte, was sich zwischen den beiden anbahnte, nickte den beiden zu. Die Unterschiede in Sprache und Herkunft waren offenbar kein Hindernis ihrer gegenseitigen Zuneigung.
Sie machte sich auf den Rückweg und ging an der Rückseite des
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