Auf Befehl des Königs
konnte sie nicht zulassen. Sie war diesen Leuten keine Rechenschaft über ihre Vergangenheit schuldig, auch nicht darüber, warum sie hier war. Marguerite d'Alençon war einzig und allein dem Monarchen gegenüber verpflichtet.
Aus Überzeugung, es sei ihr tiefes Unrecht widerfahren, verließ sie ihr Zimmer in den nächsten drei Tagen nicht.
8. Kapitel
Zum dritten Mal setzte Orrick das scharfe Messer an den Federkiel, der längst spitz genug war. Wieder und wieder überprüfte er die Listen der Einkünfte aus der Salzgewinnung und der Schafzucht, die von den Mönchen der Abtei betrieben wurde. Dann stand er auf, trat ans Fenster der Studierstube und starrte ins Leere.
"Ihr schaut so häufig aus dem Fenster, Mylord. Erwartet Ihr jemanden?"
Nach einem Blickwechsel gab der Abt seinem Schreibgehilfen mit einem Wink zu verstehen, sich zurückzuziehen. Dann lud Godfrey seinen Gast ein, sich zu setzen.
"Ich möchte Euch etwas aus meinem Leben erzählen, Orrick. Eine Geschichte, die Euer Vater kannte, welche Euch aber vermutlich neu ist."
Godfreys Worte weckten Orricks Interesse. Der Abt hatte sich viele Jahre um Orricks Erziehung gekümmert, in der Hoffnung, sein Zögling würde dem Orden beitreten. Später, nachdem er mit den Titeln und dem Landbesitz seines Vaters große Verpflichtungen übernommen hatte, suchte Orrick immer wieder den Rat des weisen, gottesfürchtigen Mannes. "Sprecht, Godfrey, Ihr macht mich neugierig."
"Als junger Mann war ich ein Ritter und habe an einem Kreuzzug teilgenommen. Ich habe den Kontinent bereist und meinen Lehnherrn ins Heilige Land begleitet. Das Wichtigste jedoch, ich war verheiratet."
"Tatsächlich? Das wusste ich nicht", bemerkte Orrick, der bislang geglaubt hatte, den Priester und Freund gut zu kennen.
"Erst nach dem Tod meiner Gemahlin habe ich mein Leben in den Dienst Gottes gestellt."
"Aus welchem Grund erzählt Ihr mir das jetzt?", fragte Orrick.
Der Abt blickte ihn eine Weile schweigend an, voller Zuversicht, dass Orrick sich seine Frage selbst beantwortete. Als dies nicht geschah, stieß Godfrey einen tiefen Seufzer aus.
"Weil Ihr vor kaum zwei Wochen mit Eurer frisch angetrauten Braut heimgekehrt seid, die dem Vernehmen nach jung und schön ist. Weil Ihr Euren Aufenthalt hier im Kloster nun schon ohne ersichtlichen Grund um zwei Tage verlängert", antwortete Godfrey. Dann beugte er sich vor und senkte die Stimme. "Weil ich weltlicher eingestellt bin als mein Vorgänger und fähig und bereit bin, über Dinge zu sprechen … nun ja, über Sachen, die sich zwischen Mann und Frau abspielen."
Orrick schloss die Augen und schüttelte bedächtig den Kopf. Er konnte das Angebot, welches der Priester ihm machte, kaum fassen. Wie konnte er sich in dieser Angelegenheit einem Ordensmann anvertrauen? Noch dazu, da er selbst nicht wirklich wusste, was zwischen ihm und Marguerite vorgefallen war. Nein, damit belog er sich selbst. Die Schwierigkeit bestand darin, dass seine Gefühle zu tief gingen und er keine Ahnung hatte, wie er damit umgehen sollte. Es stimmte allerdings, dass er den Kopf in den Sand steckte, die Heimreise bewusst hinauszögerte und damit die unausweichliche Begegnung mit einer Frau, die er begehrte wie ein Rasender und gleichzeitig am liebsten erwürgt hätte.
"Danke … für Euer gütiges Angebot, Godfrey, aber …", stammelte er und wurde von Godfrey unterbrochen, bevor er zum Kern kommen konnte.
"Orrick, ich betrachte uns als Freunde ebenso wie als treue Untertanen des Königs und Bewahrer der Interessen der Heiligen Kirche. Ich möchte Euch sagen, dass ich immer für Euch da bin und alles, was Ihr mir sagt, vertraulich behandeln werde, wenn Ihr den Wunsch oder das Bedürfnis habt, Euch Besorgnisse von der Seele zu reden oder mir Euer Herz auszuschütten."
"Ich werde noch heute nach Silloth aufbrechen", entgegnete Orrick und erhob sich. "Ich bin schon zu lange fort."
Es war höchste Zeit, dass er sich den Problemen mit seiner Frau stellte, auch wenn sie der Meinung war, sie würde nicht lange bei ihm bleiben. Als sei Godfrey bei den vorangegangenen Gesprächen zwischen Orrick und Marguerite dabei gewesen, brachte er die Situation auf den Punkt.
"In Adelskreisen ist eine arrangierte Heirat, eine Abmachung, in der die Brautleute sich vor der Hochzeit nicht kennen, an der Tagesordnung, das wisst Ihr so gut wie ich. Daraus ergeben sich häufig Konflikte, die erst nach einer gewissen Zeit ausgeräumt werden können. Viele Männer wenden Zwang, ja sogar
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