Auf Befehl des Königs
hatte.
Sehnte sie sich nach ihrer Tochter? Dachte sie an die Vergangenheit und daran, was hätte sein können? Wünschte sie sich noch ein Kind?
Sie hatten nie über Kinder gesprochen, Orrick aber brauchte Erben und erwartete selbstverständlich, dass sie ihm einen Sohn schenkte. Bald würden ihre leidenschaftlichen Liebesnächte mit Gottes Hilfe gesegnet sein, und Marguerite würde ihm ein Kind gebären. Wann würde sie genügend Vertrauen zu ihm haben, um ihr letztes Geheimnis preiszugeben? Der letzte dunkle Punkt, der ihr gemeinsames Glück überschattete.
"Meine Mutter erwähnte kürzlich zwei meiner Cousinen väterlicherseits, die möglicherweise gerne bei uns wohnen würden. Dann hättest du ein wenig Gesellschaft, wenn Mutter uns verlässt." Er bot ihr den Arm. "Was meinst du dazu?"
"Ich würde sagen, ich habe den aufmerksamsten Ehemann im ganzen Land." Sie befestigte den Schleier über ihrem neu geflochtenen Zopf und legte die Hand in seine Armbeuge.
"Vielleicht änderst du deine gute Meinung über mich, wenn ich dir gestehe, dass ich dich heute Nacht um den Schlaf bringen werde", meinte er scherzend, um die Traurigkeit in ihren Augen zu vertreiben und sie aufzuheitern.
Sie belohnte ihn mit einem Lächeln, das allerdings nicht so hell strahlte wie vorhin. "Bezähme deine sündigen Gedanken, Wüstling. Der Tag ist noch lang, und wir haben viel zu tun."
Er wollte die Tür zum Flur öffnen, als sie verharrte und zu ihm aufblickte. Sie hob die Hand und legte sie ihm zärtlich an die Wange.
"Ich liebe dich, Orrick. Ehrlich und aufrichtig."
Orrick drehte ihre Hand und küsste die zarte Stelle an der Innenseite ihres Handgelenks, eine Geste, die sie so sehr liebte. "Und ich liebe dich, Marguerite."
Auf dem Weg zur Halle und in die Betriebsamkeit des Alltags wurde ihm bewusst, dass sie ihm diese Worte zum ersten Mal gesagt hatte. Mit ihrer Hingabe und Leidenschaft gab sie ihm ihre Liebe deutlich zu verstehen; in ihrem Eifer, mit dem sie ihren Pflichten nachkam, bewies sie ihm ihre Gefühle; ihr freundlicher Umgang mit seinen Leuten war ein weiterer Beweis. Aber erstmals hatte sie die von ihm ersehnten Worte ausgesprochen.
Beim Betreten der Halle trat Norwyn zu ihm. Marguerite nickte und setzte ihren Weg fort, gefolgt von der atemlosen und erhitzten Edmee. Orrick blickte ihr sinnend nach.
Konnte es Liebe ohne echtes Vertrauen geben?
Dieser Gedanke verfolgte ihn den ganzen Tag und auch während der nächsten Tage, bis die Antwort ihn bei der Ankunft der königlichen Boten mit der Wucht eines Faustschlags traf.
"Mylord", rief einer von Norwyns Gehilfen ihm entgegen, als Orrick in den Burghof ritt. "Eine dringende Botschaft des Abts erwartet Euch in der Halle."
"Seltsam, du bist doch erst seit ein paar Tagen aus Abbeytown zurück", stellte Gavin fest, der neben ihm ritt. "Was mag so wichtig sein, dass er dir einen Boten hinterherschickt?"
"Nur Geduld, ich werde es gleich erfahren."
Orrick ritt mit seinem Trupp bis zu den Stallungen und schwang sich aus dem Sattel. Gavin begleitete ihn, als er die Stufen zum Wohnturm hinaufstieg. In diesem Augenblick ertönten die Hornsignale der Wächter auf den Zinnen. Orrick blieb verdutzt stehen und drehte sich um. Kurz darauf ritten Fremde durch das Burgtor in den Hof. Der Anführer trug ein Banner, dessen Wappen jeder Adelige in England und auf dem Kontinent erkannte – zwei goldene aufgerichtete Löwen vor einem roten Hintergrund, die einander in drohender Haltung gegenüberstanden.
Das Wappen des Hauses Plantagenet.
Henry Plantagenet.
Gavin fluchte gotteslästerlich in sich hinein. "Was hat das zu bedeuten?"
"Ich habe keine Ahnung. Aber ich habe ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend." Orrick wandte sich an Gavin. "Tu mir den Gefallen und halte Marguerite davon ab, in der Halle zu erscheinen. Du findest sie vermutlich bei Wilfrid in der Arzneikammer. Ich muss die königlichen Gesandten empfangen und möchte mir zunächst alleine anhören, welche Nachricht sie bringen."
"Hältst du das für nötig, Orrick? Immerhin ist sie deine Ehefrau."
Orrick gefiel die Situation nicht, irgendetwas in seinem Inneren warnte ihn vor einer drohenden Gefahr. "Mach, was ich dir sage." Diesmal duldete sein Tonfall keinen Widerspruch.
Gavin gehorchte, aber sein verächtliches Schnauben gab Orrick zu verstehen, was er davon hielt, dass Orrick Marguerite nicht gestattete, die königlichen Gesandten an der Seite ihres Gemahls zu begrüßen, wie es rechtens gewesen wäre.
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