Auf Bewährung
fragte Roy in gleichmütigem Ton.
»Die Jungs von der Feuerwehr waren richtig angepisst. Ich habe gehört, dass der Alarm im fünften Stock ausgelöst worden ist. Ich nehme an, jetzt überprüfen sie die Lesegeräte, um zu sehen, wer letzte Nacht seine Schlüsselkarte benutzt hat.«
Bei diesen Worten spannte Roys Arsch sich an wie die Faust eines Boxers. Er hatte seine Schlüsselkarte benutzt, um mit Mace ins Gebäude zu gelangen. Das war mit Sicherheit registriert worden. Falls gestern Nacht sonst niemand im Gebäude gewesen war, wie sollte er das dann erklären? Und was war die Strafe für so einen Fehlalarm?
Heute kann es wohl kaum noch schlimmer werden , dachte er.
Doch damit sollte er sich irren.
»Roy?«
Er drehte sich um, als er die Lobby der Kanzlei betrat. Chester Ackerman schaute ihn an.
»Ja, Chester?«
»Was zum Teufel ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?«
Roy berührte sein noch immer geschwollenes Auge und den blauen Fleck auf der Wange. »Ich bin gegen eine Tür gerannt.«
»Ich muss mit Ihnen sprechen. Sofort! « Ackerman drehte sich um und marschierte davon.
Roy schaute zu Jill, der jungen Rezeptionistin, die die beiden Männer aufmerksam beobachtet hatte. »Jill, haben Sie eine Ahnung, was er von mir will?«
»Sie stecken in Schwierigkeiten, Roy.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Wissen Sie auch, warum?«
»Das werden Sie schon bald genug herausfinden.«
Roy brachte den Aktenkoffer in sein Büro und ging zu Ackerman. Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich dem Mann gegenüber.
»Sie sehen ja nicht mehr ganz so gestresst aus, Chester«, begann Roy in freundlichem Ton.
»Ich habe keine Ahnung, wie das möglich sein kann«, schoss Ackerman zurück. »Denn ich habe das Gefühl, als würde mein verdammter Kopf gleich explodieren.«
Roy schlug die Beine übereinander und versuchte, neugierig auszusehen. »Also, was ist los?« Bitte, lieber Gott, lass es nicht den Feueralarm sein!
»Was muss ich da hören? Sie vertreten den Mann, den die Polizei wegen des Mordes an Diane verhaftet hat? Bitte, sagen Sie mir, dass das Unsinn ist.«
»Warten Sie mal. Ich kann das erklären ...«
Ackerman stand auf und sah sogar noch aufgeregter aus. »Dann stimmt es also?«
»Ich habe mich mit dem Kerl getroffen. Er will, dass ich ihn vertrete. Ich habe nicht ...«
»Sie kennen Dianes Mörder? Sie kennen den Bastard wirklich?«
»Jetzt warten Sie doch. Es ist doch noch gar nicht bewiesen, dass er Diane ermordet hat.«
»Oh, um Himmels willen. Er war an jenem Morgen im Gebäude. Nein, er ist in das Gebäude eingedrungen . Und wenn ich richtig verstanden habe, hat die Polizei Beweise, die ihn mit dem Mord in Verbindung bringen.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
Ackerman ignorierte die Frage. »Was ich jetzt wissen will, ist Folgendes: Wie können Sie auch nur darüber nachdenken , diesen Menschen zu verteidigen?«
»Das hat wohl was mit diesem Konzept der Unschuldsannahme zu tun. Das haben wir doch alle mal an der Uni gelernt.«
»Sparen Sie sich diesen Mist. Außerdem arbeiten Sie für diese Kanzlei hier. Wir beschäftigen uns nicht mit Strafrecht. Und Sie können so einen Fall nicht ohne Erlaubnis der Kanzlei annehmen, und das heißt meine Erlaubnis, denn ich bin als Teilhaber dafür verantwortlich.« Ackerman hielt kurz inne und fügte dann mit einem Knurren hinzu: »Und eher überlebt ein Schneeball in der Hölle, als dass ich Ihnen diese Erlaubnis geben werde.«
»Ich habe mich nur einmal mit dem Mann getroffen, okay? Ja, früher habe ich ihn mal in einem Verfahren wegen Nötigung verteidigt. Damals war ich noch Pflichtverteidiger. Aber davon abgesehen ... Ich glaube nicht, dass er es getan hat, Chester.«
»Mir ist scheißegal, was Sie glauben. Sie werden ihn nicht vertreten. Punkt!«
Roy stand auf. »Mir gefällt Ihr Ton nicht.«
»Vertrauen Sie mir, es wird Ihnen noch weit weniger gefallen, wenn Sie so weitermachen.«
»Ich kann kündigen.«
»Ja, das können Sie. Aber warum sollten Sie das tun? Wollen Sie Ihr goldenes Nest wirklich für einen obdachlosen Freak aufgeben?«
Roy spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. »Er ist kein Freak. Er ist ein Veteran. Er hat sein Blut für dieses Land vergossen. Ein nordvietnamesischer Schrapnellsplitter steckt noch immer in seiner Brust, nur wenige Millimeter von seinem Rückgrat entfernt.«
»Jaja. Und er hat Diane umgebracht. Entscheiden Sie sich.«
Roy drehte sich zur Tür um. »Ich werde Sie meine Entscheidung wissen
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