Auf Bewährung
hakte Mace nach.
»Das war eine Frage des Timings«, erklärte Hamilton.
»Des Timings? Ich weiß, dass Scheidungsfälle sich über Jahre hinziehen können. Warum die Eile?«
»Jamie hat ein Kontaktverbot gegen Joe Cushman erwirkt. Joe hat Diane offenbar bedroht. In so einem Fall ist natürlich schnelles Handeln angesagt. Allerdings kenne ich Joe inzwischen, und ich glaube nicht, dass er irgendetwas davon ernst gemeint hat.«
»Aber das erklärt noch immer nicht, warum sie anfangs überhaupt zu Meldon gegangen ist. Woher hat er Diane Tolliver gekannt?«
»Ich glaube nicht, dass das in irgendeiner Weise relevant ist«, bellte Sprissler, die aussah, als würde sie gleich über den Tisch springen und Mace ins Bein beißen.
»Nun ja, das glaube ich aber schon«, erwiderte Mace. »Und ich bin verdammt sicher, dass das FBI der gleichen Meinung sein wird.«
»Sie waren Freunde«, sagte Hamilton nach kurzem, angespanntem Schweigen.
Mace hob die Augenbrauen.
» Sehr gute Freunde«, korrigierte Hamilton sich.
»Verstehe. Wusste Joe Cushman, dass sie eine Affäre hatten?«
»Ohne Ihre Vermutung zu bestätigen oder zu leugnen, würde ich rein hypothetisch sagen: Nein.«
»Aber sie sind nicht zusammengeblieben«, sagte Mace.
»Jamies Frau hat Brustkrebs bekommen«, sagte Petrocelli. »Sagen wir einfach, er hat das Richtige getan.«
»Wir waren überrascht, als er nach D. C. gezogen ist, um dort Bundesanwalt zu werden«, fügte Hamilton hinzu. »Aber in gewisser Weise haben wir das auch verstanden. Er wollte noch einmal von vorn anfangen.«
»Und die Nachricht von seinem Tod hat uns erschüttert«, sagte Sprissler.
»Das gilt für viele Leute«, sagte Mace.
Sie stellte noch ein paar Fragen, erfuhr aber nichts Nützliches mehr. Dann fuhr sie zum Bahnhof zurück. Es war gut zu wissen, in welcher Beziehung Tolliver und Meldon zueinander gestanden hatten, aber soweit es Mace betraf, brachte das die Ermittlung nicht wirklich weiter. Während sie auf den Zug wartete, hatte sie das Gefühl, wieder ganz am Anfang zu stehen, und allmählich lief ihr die Zeit davon.
Kapitel 103
R oy betrat seit zwei Jahren zum ersten Mal wieder C-10. C-10 war der Gerichtssaal, wo die Anklageerhebungen des Obersten Gerichtshofs von D. C. stattfanden, und nun sollte auch der Captain hier formell wegen vorsätzlichen Mordes angeklagt werden. Der Saal war voll, denn in C-10 wurde einfach alles verhandelt, von den kleinsten Kleinigkeiten bis hin zu Schwerverbrechen. Die Angeklagten, die nicht in Untersuchungshaft waren, saßen mit ihren Anwälten im Zuschauerraum und warteten darauf, aufgerufen zu werden. Gefangene wiederum warteten in einem Nebenraum.
Roy setzte sich auf eine der gut gefüllten Bänke. Er schaute sich um und sah mehrere Angeklagte miteinander plappern. In C-10 trafen sich häufig alte Bekannte, die sich schon lange nicht mehr gesehen hatten. Als Roy noch Pflichtverteidiger gewesen war, hatte er mehr als einmal einen seiner Mandanten von einem anderen Punk wegzerren müssen, weil die beiden schon dabei gewesen waren, die nächste Straftat zu planen – und das direkt vor dem Richter!
Roy nahm an, dass sein Fall als Erster aufgerufen werden würde, und das aus einem einzigen Grund. Und dieser Grund kam eine Minute vor zehn herein, sechzig Sekunden, bevor eine Glocke den Beginn der Sitzung verkündete. Mona Danforth trug ein marineblaues Chanel-Kostüm mit einem weißen Taschentuch in der Brusttasche, drei Zoll hohe Highheels und perfekt geschminkte Lippen. Ihre goldenen Locken waren in eine Wolke aus Haarspray gehüllt.
Eine Minute später betrat der Richter den Raum. Alle erhoben sich, und der Gerichtsdiener rief den Fall auf. Der Captain kam aus einer Tür, eingerahmt von zwei Polizeibeamten. Er trat zu Roy an den Tisch der Verteidigung, während Mona sich an den der Staatsanwaltschaft begab. Der Richter lächelte Mona an und zog die Brille ein Stück herunter, während er die Akten überflog. An diesem Punkt des Verfahrens präsentierte keine der beiden Seiten irgendwelche Beweise. Es wurde strikt nach Aktenlage entschieden, und die war absolut zu Monas Gunsten.
Der Richter sagte: »Mrs. Danforth, ich habe Sie schon eine ganze Weile nicht mehr in C-10 gesehen.«
»Es ist schön, wieder hier zu sein, Euer Ehren.«
Der Richter ging ein paar Notizen durch und schaute dann zu Roy. »Wie plädieren Sie?«
»Nicht schuldig, Euer Ehren«, antwortete Roy, während der Captain neben ihm sich neugierig im Saal
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