Auf Bewährung
so gut gelaufen. Alkohol und Drogen hatten ruiniert, was ansonsten eine ehrenvolle Karriere beim Militär gewesen wäre. Wahrscheinlich hatte die Veteranenbetreuung versucht, ihm zu helfen, doch irgendwann war der Captain einfach durch das System gefallen und auf den Straßen der Hauptstadt jener Nation gelandet, die er einst mit seinem Blut verteidigt hatte.
Der Captain war nun schon seit über zehn Jahren obdachlos. Und jedes Jahr zerschliss seine Uniform mehr, und seine Haut zeigte permanente Flecken von der Witterung, ähnlich wie Häuser sie nach einigen Jahren aufwiesen. Nur dass ihn niemand renovieren würde. Roy hatte den Captain kennengelernt, als er noch als Pflichtverteidiger gearbeitet hatte. Bevor der Captain sich in Georgetown niedergelassen hatte, war sein Revier weitaus größer und er selbst wesentlich aggressiver gewesen. Er war mehrmals wegen Nötigung angeklagt worden, zumeist begangen gegenüber Touristen oder Büroangestellten, von denen er Geld oder Essen verlangt hatte. Roy hatte ihn einmal verteidigt, ihm Bewährung verschafft und dann versucht, ihm zu helfen, doch die Veteranenvereinigung war von bedürftigen Soldaten aktueller Konflikte geradezu überschwemmt gewesen, und der Captain hatte noch nie zu den geduldigsten Menschen gehört.
Es war traurig, und doch konnte Roy nicht anders, als seine Börse zu öffnen, in dieses schmutzige, verwitterte Gesicht und die trüben Augen zu sehen und zu fragen: »Wie wäre es, wenn ich dir was zu essen kaufe?«
Der Captain nickte und fuhr sich mit der Hand durch das verfilzte graue Haar. Er trug ein Paar alter Handschuhe, die früher einmal weiß gewesen waren, sich nun jedoch genauso schwarz vor Dreck präsentierten wie sein Gesicht. Als sie gemeinsam am Ufer entlangtrotteten, schaute Roy nach unten und bemerkte, dass die Schuhe des Captains aus Pappe bestanden, die von Fäden zusammengehalten wurde. Der Captain hatte den letzten Winter und die heftigen Frühlingsschauer überlebt, und nachts war es nun nicht mehr kalt; doch als der alte Mann krampfhaft hustete und spie, fragte sich Roy, ob der Captain hier draußen noch ein weiteres Jahr durchstehen würde. Er schaute auf das Jackett des Captains und sah den Bronze Star und die anderen Orden auf seiner Brust, einschließlich zwei Purple Hearts, und er dachte bei sich, dass die Krieger dieses Landes etwas Besseres als das hier verdient hatten.
Pflichtbewusst wartete der Captain vor dem Café wie ein braver Hund, während Roy etwas zu essen kaufte. Schließlich kam Roy wieder heraus, gab dem Captain die Tüte und sah zu, wie der alte Mann sich auf den Bordstein setzte und an Ort und Stelle aß. Den Kaffee hob er sich bis zum Schluss auf. Dann wischte er sich mit der Papiertüte über den Mund und stand auf.
»Was für eine Schuhgröße hast du?«, fragte Roy.
Der Captain schaute auf seine Füße. »Groß ... glaube ich.«
»Ich auch. Komm.«
Sie gingen zu Roys Bürogebäude und in die Tiefgarage. Roy nahm ein fast neues Paar Basketballschuhe vom Rücksitz seines Audi. »Probier die mal an.« Er warf sie dem Captain zu, der noch immer geschickt genug war, sie zu fangen.
Der Captain setzte sich auf den kalten Boden der Tiefgarage und zog seine Pappschuhe aus. Als Roy die schwarze, wunde Haut mit den eiternden Wunden sah, wandte er sich ab.
»Fertig«, verkündete der Captain eine Minute später. Roy war sicher, dass dem Mann die Schuhe nur passen konnten, wenn er sich die Zehen abschnitt. »Bist du sicher, Roy? Ich wette, die kosten eine Million Dollar, stimmt’s?«
»Nicht ganz, und ich habe jede Menge davon.« Roy schaute den Captain aufmerksam an. Wenn er ihm Bargeld gab, würde der Captain es nur für Alkohol oder Drogen ausgeben, die nichts in seinem System zu suchen hatten. Bei drei Gelegenheiten hatte Roy ihn mal ins Obdachlosenasyl gefahren, doch der Mann hatte es jeweils nach nur einem Tag wieder verlassen. Und Roy konnte ihn nicht zu sich mitnehmen. Seinen Nachbarn würde das vermutlich nicht gefallen, und außerdem war nicht garantiert, dass der ehemalige Soldat nicht plötzlich durchdrehen und Roy mit Messern spicken würde.
»Komm in ein paar Tagen wieder vorbei; dann habe ich noch mehr für dich, okay?«, sagte Roy.
»Jawohl, Sir«, erwiderte der Captain in freundschaftlichem Ton und salutierte wieder.
Plötzlich fiel Roy auf, dass etwas fehlte, und er wunderte sich, dass ihm das bis jetzt nicht aufgefallen war. »Wo ist dein Wagen?« Wie viele Obdachlose, so fuhr auch der
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