Auf Couchtour
um mich. Ich beruhigte ihn, indem ich meinen Magen beschuldigte zu rebellieren. Für Troy klang das plausibel nach der Portion, die ich verdrückt hatte. Mein Magen krampfte sich tatsächlich zusammen, nur aus einem ganz anderen Grund, aber das behielt ich für mich. Ich wäre mir lächerlich vorgekommen, ihm die Wahrheit zu sagen, nachdem ich erst vor ein paar Minuten einen vermeintlichen Terroristen entlarven wollte, der einfach nur ein Mann war, der ein Buch las. Troy hätte mich ja für bekloppt halten müssen, wenn ich ihm jetzt damit gekommen wäre, dass mich jemand anstiere, der es bestimmt auf mich abgesehen habe, nur weil er aussah wie der Star in einer Schwerverbrecherkartei. Also schwieg ich.
Die Bahn rappelte leise vor sich hin. Ich schaute aus dem Fenster und sah das Innenleben des Tunnels in Streifen an mir vorbeiziehen. Das beruhigte mich ein bisschen. Wir fuhren richtig schnell. Das Rappeln wurde durch ein Zischen unterbrochen. Die Bahn hielt an, ihre Türen öffneten sich, und aus den Streifen formten sich Gestalten, Lichter, Schilder und Mauerwerk. ›Noch eine Station, dann sind wir da‹, raunte mir Troy zu. Eine Information, die ich dankbar mit einem Seufzer aufnahm. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Obwohl ich den Aussteigenden den Rücken zugewandt hatte – frag mich nicht, warum –, wusste ich, er war noch da. Das Scheusal lauerte noch immer in seiner Ecke und provozierte mich mit seinen Blicken. Was wollte er von mir? Warum ich? Ich fühlte mich außerstande, mich dagegen zu wehren. Eine innere Stimme warnte mich bei jedem Atemzug: Wenn du dich jetzt umdrehst, passiert etwas Schreckliches. Es ist schon seltsam: Man steht in einer Bahn, unterhält sich, lacht und freut sich auf den Abend, und auf einmal wählt irgendein kranker Widerling dich als sein nächstes Opfer aus. Du kannst nichts dagegen tun, wenn du es bist, bist du es.
Meine Hilflosigkeit lähmte mich, ich bekam kaum Luft. Meine Gedanken überschlugen sich in Erinnerung an alle möglichen Horrorstreifen, in denen Frauen von perversen Killern durch die Nacht gehetzt werden. In den Filmen ist anfangs generell eine Gruppe von Leuten unterwegs – so wie ich und meine Truppe. Sie haben ein Ziel, auf das sie sich gemeinsam freuen – genau, wie wir das taten. Es gibt ein Liebespaar, von dem der Mann als Erster dran glauben muss, damit seine Freundin ja ordentlich kreischt, bevor es sie selbst trifft – Troy und mich. Mein Gott, sollten diese Schreckensversionen zu meiner eigenen Geschichte werden? Ich wollte nur eine Prise Action! Und jetzt stand ich kurz davor, mit aufgeschlitzter Kehle in einem U-Bahn -Schacht zu verenden. Nein, Moment, auch wenn alle Vorgaben für einen Schocker passten, ein Puzzleteil fehlte – und zwar das entscheidende. Erleichtert blies ich die angestauten Ängste aus mir heraus. Bevor der Killer zuschlug, geschah nämlich immer etwas Unvorhergesehenes, das ihm die Gelegenheit bot, sich einen nach dem anderen vorzunehmen und hinzurichten – eine Autopanne, ein … Huch, was war das? Das Licht flackerte. Schon wieder. Wir schielten nach oben, zu den Deckenlampen. Noch mal, ein blitzartiges Zucken. Jetzt blinkten auch die Leuchttafeln. Was hatte das zu bedeuten? Das Gerede im Abteil verstummte. Ein Kind weinte. Wir hofften, gleich das erlösende Brummen des Notstromaggregates zu hören, das uns von dem Spuk erlöste – doch es blieb still, totenstill. Ich klammerte mich so sehr an Troy fest, dass ich ihm den Arm abschnürte. Er begann zu schlottern und zwinkerte beinahe in derselben Geschwindigkeit, in der es hell und dunkel wurde. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn. Schlagartig wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Ich betete, dass er keinen Anfall bekäme – zu spät. Er bäumte sich auf, rang nach Luft und sackte, mich mit herunterziehend, zu Boden. Mir blieb das Herz stehen. Ich war unfähig zu reagieren. Auch das noch. Peter schnellte vor und packte seinen Kopf, damit er sich nicht stieß. Bevor die anderen realisierten, was passierte, loderte das Licht ein letztes Mal auf – dann versanken wir in völliger Dunkelheit.«
»Ich werd verrückt!« Charline braucht dringend eine Pause, sonst kratzt sie sich ihre Ellenbeugen blutig.
»Willst du was trinken?«
»Nein, erzähl weiter.«
»Soll ich uns einen Kaffee kochen?«
»Nein, erzähl weiter!«
»Dann hör aber auf, dich zu kratzen, du machst mich ganz nervös.«
»Ich, dich? Wer hier wohl wen nervös macht?« Sie fängt schon wieder
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