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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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griff und ihn nach Kräften rüttelte. Ich rief seinen Namen, aber er reagierte nicht. Dann erhob ich meine Stimme in die Kategorie der dominanten Laute. Das funktionierte. Ich hörte ihn schmatzen. Er regte sich. Charline, mir fiel ein Stein vom Herzen, der das ganze Abteil erschütterte. Ich juchzte und drückte ihn fest an mich. Ich hatte ihn wieder, meinen Troy.
    ›Nein, du bist nicht blind‹, versicherte ich dem gerade Erwachten. ›Das Licht ist ausgefallen, die haben das bestimmt gleich wieder im Griff.‹ Dass die Bahn sich seitdem keinen Millimeter von der Stelle bewegt hatte, verschwieg ich ihm. Was war bloß passiert? Lag jemand auf den Schienen, festgekettet, seines Lebens überdrüssig geworden? Ein Stromausfall auf der gesamten Linie? Oder lediglich eines Tunnels, zufällig desjenigen, in dem wir feststeckten? Nein. Mein Instinkt sagte mir, es war etwas anderes, das uns so abrupt zum Stehen gebracht hatte. Bevor ich den Gedanken weiterspinnen konnte, überschüttete mich Troy mit seiner Dankbarkeit und ließ mich alles um mich herum vergessen. In diesem Moment gab es nur noch ihn und mich. Ich fand, es war die Gelegenheit zum Knutschen und spitzte ihm meine Lippen entgegen – doch wie sollte er das sehen? Wahrscheinlich lag sein Kopf ganz woanders, was ich wiederum nicht sah. Also spitzte ich vergebens, wer weiß, wohin. Statt sinnlicher Verschmelzung und saftiger Küsse knetete mich Troy wie ein Kissen zurecht. Immerhin fasste er mich an! Vielleicht kam er ja selber gleich auf die Idee, dass im Dunkeln gut Munkeln ist. Fehlanzeige. Er wandte und drehte sich, vollauf damit beschäftigt, eine bequeme Position für sich zu finden. Na super. Während er es sich an und auf mir gemütlich machte, wurde mir speiübel. In dieser knotigen Kauerstellung drückte mein Hosenbund auf meinen immer noch prall gefüllten Magen. Außerdem taten meine Knie weh, meine Knöchel und mein Rücken. Ich musste aufstehen, sonst passierte hier gleich ein Unglück, das ich, trotz Finsternis, niemand anderem hätte in die Schuhe schieben können. Ich entschuldigte mich bei Troy, knüllte meine Wachsjacke unter seinen Kopf und zog mich an einer Stange hoch, die ich in Reichweite ertastete. Ich hielt mich daran fest und schüttelte meine Beine aus. Mir war schwindelig. Ich ließ eine Hand los und massierte meine Stirn. Die Truppe hatte anscheinend gemeinschaftlich beschlossen, sich auf den Boden zu Troy zu setzen. Ich schnappte ein paar Wortfetzen von ihnen auf, und die darauffolgenden dumpfen Plumpser verrieten mir, dass sie es ernst meinten. Ich stellte mir vor, wie es aussah, wie sie da hockten, um Troy herum, der sich schon wieder äußerst lebendig anhörte. Ein Haufen seltsamer Gestalten … seltsame Gestalt? Charline, ich dachte, mich trifft der Schlag. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich abseits stand, allein, ohne den Schutz der Gruppe. Abgetrennt wie ein Junges von seiner Mutter, das seinem Jäger leichte Beute versprach. Bis eben war ich von Troys Ohmacht abgelenkt, doch jetzt kochte die Erinnerung an das Scheusal auf der letzten Bank in mir hoch. Mein Blut rauschte in Lavaströmen durch meine Adern. Meine Haut brannte, mein Herz trommelte so laut, dass seine Schläge in meinem Kopf widerhallten.
    Das war die unvorhergesehene Situation, auf die er gewartet hatte. Oder hatte er sie sogar selbst herbeigeführt? Jetzt konnte er seine kranken Fantasien an mir ausleben, ohne jemals überführt zu werden. Es würde keine Zeugen geben. Keinen Zusammenhang zwischen Täter und Opfer, kein Motiv – das perfekte Verbrechen. Ich riss die Augen auf und versuchte, irgendetwas um mich herum zu erkennen, aber das Schwarz verhöhnte mich mit gnadenloser Dichte. Verdammt! Etwas streifte meine Hand. Etwas oder er? Ich schüttelte mich vor Ekel. Mein Gesicht verzerrte sich bei dem Gedanken an seine Nähe. Mein Körper versetzte sich in Alarmbereitschaft und drängte mich zur Flucht, aber wohin? Ich wollte die Stange partout nicht loslassen, sie war mein einziger Halt. Ich war wie gelähmt, konnte nicht schreien. Warum dachte in meiner Verzweiflung keiner an mich, rief meinen Namen oder kam zu mir? Nichts, die anderen waren mit Troy beschäftigt und witzelten herum, während ich Todesängste litt. Ich atmete flach, ganz leise, vielleicht täuschte ich mich ja. Durch die Unruhe im Abteil hatte ich keine Schritte vernommen. Oder doch? Stand er hinter mir? Neben mir?
    Hinter mir! Charline, ich fühlte es, ich fühlte die Wärme, die sein

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