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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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Körper ausstrahlte in meinem Rücken. Ein feuchter Hauch streifte meinen Nacken. Sein Atem? Ich spürte jedes einzelne Haar an meinem Körper, wie es sich steil aufstellte. Ein penetranter muffiger Geruch stieg mir in die Nase, es roch nach … Schweiß und … Leder! Er war es! Hundertprozentig. Ich kniff meine Augen zu, machte mich steif und drückte mich auf den Zehenspitzen in die Höhe, als könne ich so abwenden, was unvermeidbar schien …
    ›Was machst du da?‹, wollte Troy wissen, und zwar von mir, denn er stupste mich an. Ich wankte auf meinen Zehenspitzen wie der Zeiger eines Taktells in Allegretto und blinzelte ihn verschreckt mit halb geöffneten Lidern an. Er reichte mir meine Jacke, umgeben von Licht und unseren Gefährten, die sich die Hosen ausklopften. Die anderen Fahrgäste saßen ordentlich auf ihren Plätzen, schauten auf die Uhr oder rückten sich ihre Garderobe zurecht, als sei nichts passiert. Fast spöttisch, mit einem leichten Ruckeln, fuhr die Bahn wieder an, um dann mit gewohnt rasanter Geschwindigkeit ihre Fahrt fortzusetzen. Alle wirkten entspannt, mein Blick in die Runde bestätigte es. Hallo? War ich hier im falschen Film, oder was? ›Der Mann, … er war da, …‹, stammelte ich wirr und suchte hinter mir, links, rechts neben mir nach dem Beweis für die entsetzlichsten Minuten meines Lebens. Hatte ich mir das nur eingebildet? ›Wir sind da‹, brummte Peter mit skeptischer Miene, die sich auf den Gesichtern der anderen fortsetzte. Die hielten mich für total übergeschnappt. Einzig Troy kam auf mich zu und nahm mich in den Arm, um mich, warum auch immer, zu trösten. Mein Troy. Ich vergrub meine Nase im Kragen seiner Jacke. Von mir aus hätte dieser Moment ewig dauern können. Aber die Bahn hielt und ihre Türen öffneten sich. Die Leute drängten zum Ausgang. Es wurde Zeit, zu gehen. Die erneut anschwellende Unruhe rüttelte mich aus meiner Sicherheit. Aus dem Augenwinkel sah ich unsere Truppe bereits auf den Stufen herumtollen. Wir folgten ihnen. Auf dem Bahnsteig versammelten wir uns. Ich schaute den ausströmenden Menschen nach. ER war nicht dabei. Die anderen bemühten sich, mir ein Lächeln abzuringen, gleich würde ich doch meinen Gewinn einlösen dürfen … aber ich hatte nur einen Gedanken – wo war er? Ich atmete tief durch, blendete ihre Stimmen aus und richtete mutig meinen Blick auf die beleuchteten Fenster. Da saß er. Das Scheusal presste seine hässliche Fratze an die Scheibe und starrte mich teuflisch grinsend an …«
    »Das ist das mit Abstand Gruseligste, was ich je gehört habe.« Charline schnappt nach Luft, als sei sie gerade um Haaresbreite dem Psychopathen entwischt.
    »Wie kommst du denn auf so was?«
    »Ich? Gar nicht! Ich wollte lediglich ein bisschen Nervenkitzel – eine meiner Vorgaben für den Traum. Vermutlich war es nicht möglich, das an einem offensichtlich schaurigen Ort wie dem London Dungeon zu erleben. Es ist bestimmt unheimlich, sich nachts da hereinzuschleichen, aber es sind eben nur Wachsfiguren. Alles ist vorhersehbar, wie in einer Geisterbahn. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, macht noch kein Abenteuer daraus. Echte Spannung erlebst du nur dann, wenn du es nicht erwartest. Zum Beispiel in einer U-Bahn , die dich einfach nur von A nach B bringen soll.«
    »Verstehe. Du hast mich reingelegt!«
    »Abgelenkt.«
    »Reingelegt!« Charline runzelt die Stirn. Ihre Augenbrauen schieben sich fast bis zu ihrem Haaransatz hoch. Sie meint es ernst und ist bereit, diesen Schlagabtausch bis ultimo fortzusetzen. Es ist vier Uhr morgens. Ich gebe auf, bevor sie sich reinsteigert.
    »Kaffee?«
    »Unbedingt!«
    Ich hole aus meiner Notfallkiste unter der Spüle eine Tafel Schokolade hervor: Rum-Trauben-Nuss – der beste Geschmack der Welt. Ich könnte mich ausschließlich davon ernähren. Nur gut, dass es in meinem Leben so viele Notfälle gibt. Auf diese Weise erspare ich mir ein schlechtes Gewissen. Trost bedarf keiner Entschuldigung, jeder hat ein Recht darauf. Heute muss die Schoki aus einem ganz profanen Grund herhalten: Ich brauche etwas Süßes zum Kaffee, das ist halt so. Außerdem wollte ich mir ja eh noch Zucker einverleiben, um die Sekt-Röte in meinem Gesicht abzukühlen, aber wie ich meine hinterlistige Allergie kenne, kriege ich die Zucker-Frost-Stellen auf meiner Haut genau da, wo keine roten Flecken sind. Ach, egal. Ich recke und strecke mich. Die Kaffeemaschine spuckt vor sich hin – ich sollte sie mal wieder entkalken.

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